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– Merk’ Dir’s, Schönste, Dein Zagen und Zaudern muß aufhören. Bist Du nicht des kühnen Cornelius de Witt Tochter? Und Du wolltest keinen, der Kühnheit Deines Vaters würdigen Entschluß fassen können? Hier in Deiner Hand steht klar geschrieben: Du wirst nimmer glücklich, bevor Du nicht entführt wirst. Laß Dich entführen, Minna, heute Nacht noch, und Deine Sehnsucht nach Liebe und Heirath ist erfüllt! Folge mir; der Capitain erwartet Dich!

– O, nie werde ich dies eingehen! flüsterte Minna. Aber obgleich sie zauderte, so schlug sie doch den Mantel um und ging, zwar bebend aber doch entschlossen, der verschmitzten Wahrsagerin nach. Vor der Pforte empfing sie Rochester.

– Ruhig! murmelte dieser, vor innerer Erregung noch heftiger als Minna zitternd. Capitain Brakel und ich sind Kameraden. Nur muthig voran!

Minna preßte den Brief in ihrer Hand; sie bekam dadurch wieder Muth: – Er erwartet mich! sagte sie leise.

Am Strande von Scheveningen aber erwartete sie nicht der Geliebte, sondern acht kräftige Matrosen von London, deren Boot auf den kurzen Wellen am Gestade tanzte. Auf Johns Befehl ergriffen diese die junge Dame und trugen sie in das Boot, während Rochester die alte, ziemlich erstarrte Mara mit einem Faustschlage betäubt zu Boden streckte, damit sie nicht etwa zu frühzeitig Lärm mache. Dann lief John bis an den Gürtel ins Wasser, stieg ins Boot, befahl zwei straffen Burschen, die schöne Beute rücksichtslos festzuhalten, und nahm das Steuer. Einige Minuten später lag das Boot neben dem schlanken Yachtschiffe König Carls II.; die Mannschaft brachte die Niederländerin an Bord und führte sie unter Rochesters Beistande in die Cajüte. Dann ward der Anker gelichtet und der Abenteurer stach, außer sich vor Entzücken, in See. Noch aber war der Morgen nicht angebrochen, da segelte eine niederländische Fregatte heran und sandte über die Mastspitze des englischen Schiffes eine Kanonenkugel. John Wilmot befahl dem Capitain beizulegen. Die Holländer kamen heran; auf dem Verdecke der Fregatte zeigte sich ein stolzer, bärtiger Seemann, welcher die Engländer zu examiniren begann. Minna war bis jetzt in die Ruhe der Verzweiflung versunken gewesen. Sie hatte sich eines Hirschfängers bemächtigt und dem Grafen geschworen, sich damit zu durchbohren, wenn er wagen würde, sich ihr zu nähern. Jetzt aber, bei der Stimme des holländischen Capitains gerieth sie außer sich. Sie schleuderte Rochestern, der ihr den Weg versperrte, zur Seite, blickte aus der Stückpfortenluke und rief:

– Moritz! Moritz! Rette mich; ich sterbe!

Der Capitain schien sie zu erkennen; er rief; er drohte; er befahl den Engländern beizulegen; aber das Examen war beendigt, das Rennschiff war wieder unter Segel und Rochester lief zu Deck, damit alles Leinen ausgespannt werde, um der Fregatte zu entkommen. Die Yacht erhielt einige von den vielen auf sie abgefeuerten Kanonenschüssen, gewann aber bei Wind und Wasser Raum und ließ die Fregatte hinter sich. Capitain Brakel signalisirte zur Rhede hin und setzte seine Lantsche aus, um van Gent Rapport zu geben, dann machte er Jagd auf den Engländer.

Cornelius de Witt aber ging bei der furchtbaren Nachricht vom Verschwinden seiner Tochter sofort unter Segel, zog Ruyter an sich und erschien dicht hinter dem Capitain Brakel, welcher Rochestern vergeblich verfolgt hatte, vor Koningsdiex, dann in der Mündung der Themse

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/136&oldid=- (Version vom 1.8.2018)