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der gebildete Deutsche, der Städter, der Halbfranzösirte mit Schrecken im Eulenspiegel – unsterblichen Gedächtnisses – anstarrt.

Am Hochzeitstage selbst ist die geplagteste Person – der Bräutigam, oder vielmehr der junge Ehemann. Mit einer weißen Schürze angethan, muß er die oben am Tische im vollen Staate sitzende Braut und sämmtliche Gäste als Kellner bedienen. Er hat den Bräutigamsknecht zu seiner Verfügung, wird aber trotzdem so abgehetzt, daß er sich gegen Abend kaum noch auf den Beinen erhalten kann. Die Braut wartet am folgenden Tage mit ihren Mägden auf.

Die Tänze der Gäste am ersten Tage sind festgestellt. Die Ehrentänze machen den Anfang und das junge Paar ist genöthigt, mit allen Großvätern und Großmüttern u. s. w. der ganzen Hochzeitsgesellschaft bis gegen Abend nach einer Menuett-Melodie herumzugehen. Eine schnelle Beendigung eines solchen Tages würde sich der Betheiligte dem Brautpaar gegenüber als unauslöschlichen Schimpf zurechnen. Die Etikette hat hier gesorgt und bestimmt, wie lange das Brautpaar mit den Anverwandten der verschiedenen Grade Ehren halber wandeln soll.

Hier und da kommt in Nordholland und Friesland noch die uralte Sitte vor, daß am zweiten Tage der Hochzeit die sogenannte Brauttafel ausgestellt wird: eine große Schüssel, neben welcher sämmtliche Gäste vorbeidefiliren, um ihre Geschenke, natürlich in klingender Münze, dem neuen Paare darzubringen. Die Beiträge werden von dem Pfarrer, dem Domine oder dem Schulmeister des Orts registrirt. Da hier sich Niemand gegen die Uebrigen eine Blöße geben will, so sind die Gäste nicht selten in dem Falle, das auf der Hochzeit Verzehrte unverschämt theuer bezahlen zu müssen. Ist dieses Opfer gebracht, so pflegt sich der ganzen Gesellschaft plötzlich ein ganz anderer Ton zu bemächtigen. Sie dictirt jetzt, ob sie an großer Tafel warm oder kalt speisen will, oder nicht, und wann dies geschehen soll; sie giebt ihr Gutachten über den noch vorhandenen Vorrath an Eßwaaren und Getränken ab und befiehlt, daß so und so viel Stück Vieh noch nachträglich abgethan werden soll, „da man nicht gesonnen sei, zu hungern.“

In ihrer Ausgelassenheit werden von den Gästen sehr oft die merkwürdigsten Belustigungen entrirt. Aber auch sie sind nicht etwa erst zu erfinden, sondern die Alten haben schon vorgesehen, wie man bei solchen Gelüsten zu verfahren habe. Berüchtigt ist in dieser Hinsicht der Tanz „die lange Reihe.“ Ein Mann und ein Frauenzimmer und so fort stellen sich sämmtliche Hochzeitsgäste, die sich auf ihre Beine noch hinreichend verlassen zu können glauben, in einer Gänsereihe hinter einander auf. Jeder und Jede faßt das Kamisol oder den Rock des Vorderen und hält ihn fest. Die Dorfmusikanten laufen nebenher und nun beginnt der Tanz, halb Hüpfen und Springen, halb Laufen durch die Dorfstraßen, über Hecken und Zäune, durch die Häuser, in die Thür hinein, zum Fenster wieder hinaus u. s. w., ja nicht selten werden von den bachantischen Tänzern den Nachbardörfern auf solche Weise Besuche abgestattet, welche indeß in der Regel mit einer furchtbaren Schlägerei endigen, wenn sich „die lange Reihe“ die geringste Ungehörigkeit erlaubt.

Die Physiognomie solcher holländischen und niedersächsischen Bauernhochzeiten, deren genauere Schilderung wir des Raumes wegen aufgeben müssen, bleibt, obgleich sie der verschiedensten Variationen fähig, immer dieselbe, welche sie seit alter Zeit gewesen ist.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/296&oldid=- (Version vom 1.8.2018)