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– Versteht sich, Meister! rief Hendrik. Gebt mir die Kerze und thut Eure Schuldigkeit. Mynheer, wollt Ihr Euch in die entsprechende Positur bringen, oder nicht?

Mynheer Slyker gab sich gefangen.

– Welcher ist es? fragte der Meister, an einige Zähne klopfend.

– Der da! rief Agathe, auf den Eckzahn in der Unterkinnlade deutend.

Mynheer Slyker wollte noch sprechen, aber die Zange war ihm schon im Munde – der Zahnarzt stand hinter ihm. Hendrik leuchtete; Pieter stützte sich auf sein Knie und sah aufmerksam zu; der Jäger hatte die rechte Hand des Rathsherrn gefaßt und der Koch zog den Geldbeutel, um den Meister zu bezahlen. Dieser sah am mitleidigsten aus. Agathe zeigte sich, stoisch ihr Werk betrachtend, im Hintergrunde. Der Meister aber und Hendrik lachten, wie ausgemachte Schalke.

Es krachte und Mynheer sprang mit triefenden Augen und verstörter Miene auf, indeß der Meister den kerngesunden Zahn triumphirend in die Höhe hielt. Nur einige Augenblicke besann sich der alte Hagestolz, welcher so grausam-komisch getäuscht wurde, dann wankte er, für die übrigen Zähne und für seine fast ausgerenkte Kinnlade fürchtend, zum Hause hinaus und seiner Wohnung zu. Die Verbündeten zogen lachend ab.

Mynheer Slyker aber war wie durch ein Wunder nicht allein von seiner Leidenschaft für Elizabeth Leuwenbroek, sondern von der Zuneigung zu allen möglichen jungen Damen von Stund an auf’s Gründlichste geheilt, so zwar, daß er später wegen seiner Weiberfeindschaft förmlich berüchtigt wurde.




Die heil. Magdalena nach der Geißelung.
Von Marco Antonio Franceschini.

Der Meeresküste entlang, etwa fünf Stunden entfernt von Genua, trieb ein junger Mensch an einem Spätnachmittage des Jahres 1672 sein schon ziemlich warm gerittenes Roß so eifrig zu raschem Trabe an, daß man schließen konnte, der Reisende setze in sein edles Thier das Zutrauen: dasselbe werde ihn noch heute zur Nachtherberge in Genua führen.

Das Roß so wenig als der Reiter waren aus dieser Gegend. Dieser schlanke, schwanenhalsige Schweißfuchs war unendlich von den unschönen Piemontesischen Gebirgskleppern verschieden und erinnerte in Gang und Haltung an die edlen Rosse, welche von englischen Pferdezüchtern damals in der Nähe von Bologna zu ziehen versucht wurden. Sattelzeug und Zügel waren mit Muscheln und Lederfranzen nach mittelitalienischem Geschmacke geziert.

Der Reiter war in der kleidsamen Tracht eines bologneser Studenten, im Sammtwamms mit großem, weißem Kragen und Stulphandschuhen und in langen, gelben Stiefeln, die bis auf den Oberschenkel reichten. Ein übermäßig langer Degen, schmal, aber zu Hieb und Stoß geeignet, mit einem kunstreich verschlungenen Handkorbe, fehlte dem jungen Manne ebenfalls

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/476&oldid=- (Version vom 1.8.2018)