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genannt haben, wenden wir uns zu dem vorliegenden Blatte, den Künstler und seine Frau darstellend, welches heute, nachdem es verschiedene Male die Besitzer wechselte, die Gallerie zu Dresden ziert.

Fast jedes Bild von Rembrandt ist bei seiner originellen, obgleich einseitigen Kunstrichtung ein Erlebtes. Er sprach, er rauchte, er trank mit den Figuren seiner Gemälde; er saß mit diesen ewig holländischen Gestalten am Kamin; er war neben ihnen in den vorsündfluthlichen Schenken; er handelte und feilschte mit ihnen auf seinen köstlichen Jahrmärkten und Kirmsen, und hörte die seltsame Musik seiner zerlumpten Fiedler, Clarinettisten und Dudelsackpfeifer selbst mit an. Gehen etwa die Bilder Rembrandt’s über die bloße geniale Abschrift der Wirklichkeit hinaus: so findet der sinnige Beschauer dennoch sehr leicht den äußern Anstoß auf, aus welchem die Composition des Werkes hervorging. Ohne diesen äußern Anstoß malte Rembrandt selten; er war ihm nothwendig, und bot sich derselbe nicht etwa von selbst dar, so machte der Künstler geflissentlich Jagd darauf.

Deutlich weist unser Bild des berühmten Niederländers in der ganzen Situation, in der Costumirung, in dem zum Lautwerden, zum Greifen dargelegten besondern Stück Leben und in dem Ausdrucke, welcher in den Gesichtern der beiden Figuren liegt, auf eine solche äußere Anregung, auf eine aparte Ursache seines Entstehens hin.

Das Bild redet und erzählt einen Theil seiner Geschichte, welche wir hier in ihrer ganzen niederländischen, wohlbehäbigen Gemüthlichkeit wiedergeben.

Paul Rembrandt hatte sich mit seiner jungen Frau seit noch nicht langer Zeit nach dem Haag übersiedelt. Er hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der Kathedrale in einem kleinen, aber sehr lebhaften Gäßchen bezogen. Die Vorübergehenden hatten hinter den mit runden Scheiben versehenen Fensterchen des Malers kaum einige seiner unsterblichen Bilder gesehen, als sie auch von früh Morgens bis spät Abends die Wohnung förmlich belagerten. In Folge dieses damals durchaus nicht gebräuchlichen Mittels erreichte es der Maler, daß die Stadt in wenigen Tagen wußte, sie beherberge ihn in ihren Mauern. Er hatte sich zugleich dadurch der Nothwendigkeit überhoben, bei den vornehmen Beschützern und Liebhabern der Kunst sich vorzustellen: sie drangen selbst in sein kleines, aber prächtiges Atelier, und bald sah sich der junge Künstler, ungeachtet des Monopols, welches der Fürst der niederländischen Maler, Peter Paul Rubens und seine Schüler, Van Dyk, Vanhoek, Teniers und Andere bisher in ihrer Kunst ausübten, mit den ehrenvollsten, lohnendsten Aufträgen überhäuft.

Vor diesen seinen Kunstgenossen hatte sich der eben so stolze als jedem Zwange durchaus abholde Rembrandt gar nicht sehen lassen. Er fühlte, daß er, ungeachtet er dieser Malerschule isolirt gegenüberstand, stark genug sei, um seinen Weg zu finden, ohne – wie es gewöhnlich der Fall war – dem Meister Rubens den Hof zu machen oder gar, wie die meisten seiner großen Schüler, unter seiner Leitung, nach seinen Entwürfen und für seine Rechnung zu arbeiten. Dafür wurde er von seinem bereits auf der Höhe des Ruhms stehenden Kunstgenossen – wie es etwa der Dichter der „Räuber“ von Göthe erfuhr – längere Zeit hartnäckig ignorirt.

Ein Zufall führte Rembrandten, welcher die feinen Gesellschaften, wo er seinen Kunstgenossen hätte begegnen können, vermied und dafür die Tabernen, die Winkelschenken, die Bettle- und Zigeunerherbergen und die Paradiese der Landsknechte besuchte, den Haager Malern näher.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/560&oldid=- (Version vom 1.8.2018)