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aus ihren einzelnen Zügen eine Art Ganzes zusammenstoppeln, das nennt Ihr: nach der Phantasie malen; aber dies werden Undinger. Ihr könnt nichts geben, als was Ihr der Natur abschriebt, stahlt; das ist echt, das ist vortrefflich, wahrhaft lebendig! Seht diese Schnitterinnen, das sind prachtvolle niederländische Mädchen, zum Küssen, zum Anbeißen; sie können lachen, scherzen, lieben, trinken und unverschämten Liebhabern Ohrfeigen geben. Was aber gedenkt Ihr, Meister Van Dyk, mit dieser unvollendeten Hauptfigur im Vordergrunde anzufangen?

– Es ist die Königin der Schnitterinnen! Sie ist die Trägerin des idealen Lebens in meinem Bilde; sie erst soll dem gemeinen, alltäglichen Leben den künstlerischen Stempel verleihen . . .

– Ihr wollt also jedenfalls ein Unding in das Bild bringen. Dann verlange ich es nicht.

– Nein, einfach eine ideale Gestalt, sagte Van Dyk, und ich habe mir sie im Geiste noch nicht klar genug gemacht, um sie malen zu können.

– So geht doch und sucht Euch Eure Königin der Schnitterinnen. Fangt Euch ein Mädchen, wie Ihr sie braucht, portraitirt sie, und gebt mir dann Eure Moissonneurs.

– Ich brauche sie nicht zu suchen, denn ein lebendes Frauenbild wird dennoch nie an mein Ideal hinanreichen.

– O, Prahler! rief Rembrandt sehr aufgeweckt; seht Euch vor, daß Ihr nicht etwa einem Mädchen begegnet, an welchem Euer Pinsel zu Schanden wird, vor welchem Ihr gestehen müßt: meine Kunst ist, dieser Natur gegenüber, todt.

Van Dyk richtete sich stolz auf. Rembrandt aber nahm lächelnd Abschied und ermahnte ihn abermals, sich ein schönes, wirkliches Modell für die Königin der Schnitter zu suchen, und ging fort. Zu Hause angekommen, sagte er zu seiner Frau:

- Kennst Du Van Dyk?

– Ich habe sein Portrait gesehen, antwortete Jantje.

– Kennst Du den goldenen Kirchenstuhl neben dem Königsstande in der Kathedrale?

– Ei, ja, es ist derjenige des Rubens!

– Gut, schmücke Dich und geh gleich in die Messe. Rubens und Van Dyk werden nicht fehlen. Setz’ Dich ihnen gegenüber und sorge, daß Mynheer Van Dyk Dich, schönes Frauchen, so genau als möglich sieht. Verstehst Du?

– Aber wozu?

– Er hat ein Modell nöthig, welches er nicht aus der lieben Gotteswelt, sondern aus seinem leeren Gehirn holen will. Er wird aber Dich sehen und marblex! er wird Dich malen wollen und wird Dich auf mein Bild malen. Ich werde diesem Stolzen eine Schlappe beibringen; ich bin entschlossen, ihm gegenüber Recht zu behalten. Geh, Jantje, sei liebenswürdig; verstehe mich; aber nicht zu sehr!

Jantje begriff lächelnd und schmückte sich wie eine Königin, ging zur Kirche und nahm den verabredeten Platz ein. Van Dyk erschien sehr bald an Rubens Seite. Sein Blick fiel auf das strahlende, blühende Gesicht der Frau des jovialen Rembrandt, welche, sanft lächelnd, den blitzenden Blick der Augen des jungen Malers aushielt. Sie schien Van Dyk, welcher ungeachtet seiner Liebe zum Fräulein Van Maleder nichts weniger als unempfindlich war, auf’s Höchste zu

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/567&oldid=- (Version vom 1.8.2018)