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geöffnet, um die laue, köstliche Nachtluft ins Zimmer strömen zu lassen; er trat jetzt an die Oeffnung und legte mit zierlicher Hand zart den Bogen auf die Saiten. Ein melancholisches Präludium von Palestrina ertönte; immer inniger, poetischer zitterten die silberklaren Töne durch die Luft; die Cremoneser-Geige fing, wie eine herrliche Frauenstimme, wie die Stimme der Liebe, an zu singen; sie zwitscherte, sie seufzte und klagte in ihren Trillern, in ihren langgehaltenen, sonoren Klängen, indeß der Meister, in Begeisterung lächelnd, das strahlende Auge in die Nacht hinaus richtete.

Brigitta war fast leblos. Sie hörte die Stimme des Jünglings nicht mehr; ihre ganze Seele lauschte diesen Tönen, die sie mit Zaubermacht faßten. Sie riß sich von Mieris’ Armen los, der, selbst gerührt, unschlüssig dastand . . .

Jetzt machte der Künstler einen melodiereichen Uebergang, und einfach und groß, und dennoch die heitere, gemessene Freude auf liebliche Art ausdrückend, erklang einer der Tänze des Niederländers Roland Lasso, eines würdigen Nebenbuhlers der italienischen Tonkünstler Nanini und Zarlino, eine jener reinen Melodien, welche damals alle Welt bezauberten.

Es war ein Menuet . . . es war dasselbe, welches Dow mit Brigitta am Tage seiner Vermählung getanzt hatte . . .

Brigitta war gerettet . . . Ihr Traum verschwand vor dieser ebenso zauberischen als heiligen Erinnerung. Sie dachte nicht mehr an Franz van Mieris . . . Die Treue und nicht die strafbare Leidenschaft feierte einen ihrer schönsten Triumphe. Brigitta deutete, unfähig, sich zusammenhängend auszudrücken, nach dem Fenster, wo Dow sich zeigte, und stammelte:

– Mein Hochzeits-Menuet . . .

Dann eilte sie mit aller Geschwindigkeit, deren sie fähig war, dem Hause zu, lief in ihr Zimmer und schloß, erschüttert wie nie, den geliebten Meister in ihre Arme.

Franz van Mieris stand da wie eine Bildsäule und erwachte erst dann aus seiner Betäubung, als Gabriel Metzu heran kam und ihn umarmte.

– Es ist Alles verloren! murmelte Mieris düster, indeß er jetzt offen dem Freunde beichtete.

– Nein, Alles gewonnen! jubelte Gabriel, den Freund liebkosend. Einen glücklicheren Tag als den heutigen sah ich noch nie. Brigitta ist ihrem Herrn, unserm braven Meister erhalten, und Du, ein braver Junge ungeachtet Deines Leichtsinns, wirst Deine Empfindungen zu besiegen wissen; gieb mir die Hand darauf, Freund!

– Hier! sagte Mieris, indeß er sich wieder ermannte. Und zum Zeichen, daß auch ich über mein Herz, das unbändige Ding, Herr bin, wenn ich es sein will, komm; wir wollen unserm Meister diese Nacht verherrlichen . . .

Beide gingen zur „bunten Palette“, holten die Freunde, beriefen ein Dutzend Musiker und zogen vereint mit diesen, große Fackeln und Laternen in den Händen, in Gerard Dows Garten.

Und nun begann ein Musiciren, ein Jubeln unter den Fenstern des gerührten Malers, daß die ganze Nachbarschaft lebendig wurde, auf die Straßen kam und in die allgemeine Freude einstimmte.

Brigitta aber beichtete getreulich ihrem Gatten. Seit dieser Zeit gewann die bisher

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/70&oldid=- (Version vom 1.8.2018)