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Papst Julius, durch den Verwandten Raphaels, den Architekten Bramante, bewogen, berief den schon berühmten Künstler zu seinen ewig unvergänglichen Schöpfungen im Vatican. Die Loggia, „la Segnatura“ genannt, ward von Raphael gemalt; die Theologie, Philosophie, Astronomie und Poesie ward in der wunderschönen Composition zur Darstellung gebracht. Die Menge der Figuren und schönen Stellungen sind stets Gegenstände der Bewunderung gewesen und die vortrefflichen Köpfe dienten von jeher als Studien und Muster für die Maler. Auf diesem Gemälde hat Raphael sein eigenes jugendliches Bildniß und den ausdrucksvollen Kopf des jungen Herzogs von Mantua verewigt. Nach Vollendung dieses Werks ward die Malerei der drei übrigen Zimmerseiten bis auf wenige Verzierungen von Antonio Vercelli abgerissen, damit der neue Meister Raum für neue Werke gewinnen möge. Auf der anderen Zimmerseite malte er den Streit der Kirchenlehrer über das Abendmahl, auf der dritten den Parnaß und die letzte ward mit dem Bilde der Mäßigkeit, Stärke, der Klugheit und der Gerechtigkeit geziert. Letztere stellt der Kaiser Justinianus dar. Die vier Rundungen der Gewölbe enthalten die geistreichsten Allegorien. Während einer kurzen Rast von diesen Arbeiten malte Raphael das Bildniß des Pabstes und eine heilige Familie, welche zu St. Maria del Popolo aufgestellt und ihres hohen Werthes so wie ihrer Schönheit wegen nur an hohen Festtagen entschleiert wurden.

Dies war die erste Periode von Raphaels Thätigkeit; seine Werke sind bis hierher geistreich, von den gefälligsten Formen, und tragen fast alle den Ausdruck der sanften, schönen Ruhe. Es weht aus ihnen das Genügen des Genies, welches in sich vollkommene Harmonie seiner Kräfte fühlt. Ein sehr bemerkenswerther Umstand diente dazu, diesen Styl Raphaels zur vollen kräftigen, weihevollen Größe zu erheben.

Michel Angelo, der Gewaltige, malte im Vatican; Niemand aber von den Malern konnte sich rühmen, die entstehenden Schöpfungen dieses Titanen gesehen zu haben. Buonaroti aber verließ Rom für einige Zeit und ein Freund Raphaels verschaffte ihm die Gelegenheit, die Wunder seines Nebenbuhlers anzuschauen. Seit diesem Augenblick verschwand das blos Weiche aus Raphaels Werken, um sich graziös mit edler Kraft zu vermählen. In dem großartigen Esaias in der Kirche zu St. Agostino, welchen Raphael unmittelbar darauf vollendete, zeigte sich indeß unwiderleglich, daß ein Raphael nie zum Nachahmer werden könne, denn seine ganzen großen Vorzüge waren dieselben geblieben und hatten sich nur ihren eigenen Gesetzen gemäß zum großen, kraftvollen Styl erhoben. Dann folgte eine seiner bekanntesten Arbeiten von entzückender Composition und einer klassischen Heiterkeit des Ausdruckes: die von Delphinen auf dem Meer gezogene Venus Anadyomene, bekannt unter der nicht treffenden Bezeichnung „die Galathea“ im Palast Farnese.

Eine durch die Neuheit ihrer Composition auffallende Arbeit war das hohe Altarblatt, mit Maria und Christus in den Wolken, während unten Johannes der Täufer, der heilige Franciscus von Assissi und Sanct Hieronymus adoriren. Dann ward die zweite Loggia vollendet; die Transsubstantiation, die Befreiung des Petrus, die Tempelentweihung durch Heliodorus und Attila’s Abwehr von Rom durch Sanct Leo, letzteres zu Ehren des Papstes Leo X. gemalt. Weiter folgte der Brand Roms, durch Leo’s IV. Benediction gelöscht, eine herrliche, reiche Composition und im Palast Chigi (Farnese) alla Lungara, die Hochzeit der Psyche, ein unübertroffenes

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/859&oldid=- (Version vom 1.8.2018)