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In den Bevölkerungslisten der Jahre 1859 und 60 fehlt die erst pro 1861 neu eingeführte Rubrik „durch Lebensschwäche bald nach der Geburt gestorben.“ Die hierher gehörigen Gestorbenen der Jahre 1859 und 60 sind demnach in den übrigen Rubriken mitenthalten, ohne daß es möglich ist, sie auszusondern. Man darf bei Eintheilung der Todesfälle nach den Todesursachen keine absolute Genauigkeit erwarten. Können die oben aufgeführten Zahlen einigermaßen zum Anhalt dienen, so waren 6,89% aller Gestorbenen todtgeboren, ein sehr hoher Prozentsatz (in Preußen betrug derselbe von 1843–53 5,18%); es starb ferner über ein Drittel aller Gestorbenen (35,57%) an inneren chronischen Krankheiten, nicht ganz ein Viertel (23,37%) an inneren acuten Krankheiten, und etwas mehr als ein Sechstel (17,56%) an Altersschwäche.

Bezüglich des Krankheitscharakters in der Zeit von 1859–60 lassen sich zwei Perioden unterscheiden. Während derselbe ungefähr in der ersten Hälfte dieses Zeitraumes anhaltend in einer bestimmten dominirenden Richtung bei übrigens mäßiger Anzahl der Erkrankungen sich ausprägte, war er in der zweiten Hälfte unbestimmt und wechselnd bei bedeutend vermehrter Anzahl der Erkrankungen. Das Jahr 1859 nämlich mit seiner anhaltend außergewöhnlich hohen und trockenen Wärme gab dem Krankheitscharakter ganz vorwiegend den gastrischen Typus, und waren demnach bis zum Frühjahre 1860 Krankheiten der Unterleibsorgane, namentlich Magenkatarrhe, dyssenterische Processe, Cholerine, gastrische, biliöse und nervöse Fieber vorherrschend. Vom Sommer 1860 ab folgte der Krankheitscharakter den wechselnden Einflüssen der Witterung, die Zahl der Erkrankungen mehrte sich und erreichte im ersten Halbjahr 1861 den höchsten Stand. Vorzugsweise machten sich entzündliche Affectionen der Athmungsorgane geltend und waren in bemerkenswerther Weise der Entwickelung und Beschleunigung tuberculoser Krankheitszustände förderlich, durch deren Folgen namentlich im Jahre 1861 eine bedeutende Anzahl Menschen hinweggerafft wurde. – Bei den im ganzen Kreise wenig verschiedenen Beschäftigungs- und Wohnungsverhältnissen der Einwohner kann ein besonderer Krankheits- und Sterblichkeitscharakter nach einzelnen Bevölkerungsklassen nicht wohl unterschieden werden.

Von endemischen Krankheiten kommt im Kreise nur das Wechselfieber vor. Nachdem das ausgedehntere Auftreten desselben in den meisten Theilen des Kreises durch verbesserte Bodenkultur, Ausrottung der Wälder und Ausräumung der Gewässer sehr wesentlich beschränkt worden ist, herrscht es in endemischer Weise nur noch im nördlichen Theile des Kreises.

Eigentliche Epidemien sind in den Jahren 1859–61 nicht vorgekommen. Ein im Jahre 1859 gemeldeter Fall von Cholera asiatica blieb vereinzelt und ist auch nicht hinreichend constatirt worden. Die vorgekommenen Blatternerkrankungen waren nachweislich durch auswärts empfangene Ansteckung eingeschleppt; zur Entwicklung einer Epidemie kam es nicht. Im Jahre 1859 kamen 11 Blatternerkrankungen, darunter ein Todesfall, im Jahre 1861 nur 2 Krankheitsfälle ohne tödlichen Ausgang vor; jedesmal wurden sofort die geeigneten Schutzmaßregeln (Vaccination und Revaccination der Hausbewohner und möglichste Isolirung der Kranken) angeordnet. Weitere Maßregeln waren nicht erforderlich. – Im Jahre 1861 waren zu impfen 1765 Kinder; hiervon wurden geimpft

mit Erfolg
1658
zum dritten Male ohne Erfolg
15
Summa  
1673

Es waren demnach in die Impfliste pro 1862 zu übertragen 92 Kinder, welche entweder wegen Krankheit ungeimpft blieben oder bei denen die Impfung zum ersten oder zweiten Male nicht angeschlagen hatte. Nur 4 Kinder in Orsoy blieben auf Verlangen der Eltern ungeimpft. Die Abneigung gegen die Impfung, welche früher in Orsoy sehr verbreitet war, verschwindet mehr und mehr. – Die meisten Kinder werden öffentlich von dazu angestellten Ärzten geimpft; im Jahre 1861 beschränkte sich die Privatimpfung auf 78 Kinder.

Fälle von Wasserscheu oder Wuthkrankheit bei Menschen sind nicht vorgekommen, obwohl diese Krankheit bei Hunden zum öfteren constatirt und auch mehrfache Verletzungen von Menschen durch den Biß wuthkranker Hunde bekannt geworden sind.

Die Zahl der Selbstmörder (0,26% aller Gestorbenen) war eine geringe und ist auch früher nicht bedeutend gewesen; sie betrug 1857 2 und 1858 3. Von den 8 männlichen Selbstmördern der Jahre 1859–61 haben sich 5 erhängt, 2 ertränkt und einer mit dem Rasirmesser den Hals abgeschnitten; von den beiden Selbstmörderinnen hat sich eine ertränkt, die andere erhängt. Als Ursachen werden angegeben in drei Fällen Geistesschwäche, in einem religiöser Wahnsinn, in zwei Fällen Melancholie, in zwei Fällen unglückliche Familienverhältnisse; in einem Falle endlich sind Gründe nicht bekannt geworden.