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Er zieht es mit dem Stabe

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Wohl an den Binsenrand,

Doch aus dem Wasser hebet
Sich eine weisse Hand.

Sie zieht das Röslein nieder,
Tief in den dunkeln Grund:

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„Komm, lieber Knab’, ich mache

Dir viel Geheimes kund.

Im See, am Boden wurzelt
Das Röslein, das du liebst,
Da will ich dir es brechen,

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Wenn du dich mir ergiebst.“


Den Knaben fasst ein Grauen,
Er eilt hinweg vom See,
Doch immer ist sein Sinnen
Das Röslein weiss wie Schnee.

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Er irret durch die Berge,

Der Gram das Herz ihm frisst,
Und niemand weiss zu sagen,
Wo er geblieben ist.

– das trotz mehrfacher in das Moderne fallender Wendungen doch wirklich auf volksmässiger Grundlage ruht, und als Ganzes mir geschlossen und wohlgelungen scheint. Dies, in der Wochenschrift vom 18. Dezember 1807 Sp. 815 anonym gedruckte Gedicht rührt nun von Schreiber her, wie daraus folgt, dass es sich später in seinen „Gedichten und Erzählungen“ (1812, S. 41), in den „Poetischen Werken“ (1817, Bd. 1) und in den „Sagen aus den Rheingegenden, dem Schwarzwalde und den Vogesen“ (1839, 2. Bändchen S. 255) wiederfindet. Aber hier immer ohne den Hinweis auf volkstümliche Herkunft und mit folgender Abweichung des Titels und der ersten Strophe

Der Mummelsee.
Hoch auf dem Tannenberge

Da ist ein schwarzer See,
Und auf dem See da schwimmet
Ein Röslein, weiss wie Schnee –

und wer je zum Mummelsee hinaufgestiegen ist und der Sagen über ihn sich erinnert, wird glauben, dass in Schreibers Gedicht von Anfang an kein anderer See als der Mummelsee gemeint gewesen sei. Indem ich mir aber vergegenwärtige – worüber ich aus Anlass des Goethe’schen Klageliedes in Sauers Euphorien 2, 814 gesprochen habe –, welche Bedeutung gerade damals „Da droben auf jenem Berge“ für Brentano erlangte, so denke ich, dass an dieser Stelle Brentanos persönlicher Einfluss auf Schreiber auch litterarisch zu erkennen sei. Er sammelte ja gleichfalls für das Wunderhorn, das er in Nr. 4 seines Blattes als eine Sammlung „ächt teutscher Volkspoesieen“ rühmte.

Brentanos Mitarbeiterschaft kam der Wochenschrift von ihren Anfängen an zu Gute. Der bekannte „Brief an den Herausgeber über das Sprichwort: Dir geht es wie dem Hündlein von Bretten“ (18. Juli 1806).

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)