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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

über die Sagen. Sehr wichtige Äußerungen zwischen beiden Brüdern finden wir 1809, nachdem Wilhelm eben wieder mit Arnim und Brentano in Berlin zusammengewesen war, in den Jugendbriefen (S. 195, 198). Jacob schrieb: „Das schon vor Deiner Reise angefangene Verzeichnis aller Sagenelemente ist beträchtlich und vollständig genug geworden. Ich halte diese Arbeit zwar noch sehr weitschauend, allein Du wirst sie mit mir für die allernotwendigste halten, und sie muß die Grundlage zu unserm künftigen Studium geben; ich wüßte nicht, wie man auf andere Weise in das innere Wesen der Geschichte der Poesie gelangen wollte. Sobald du kannst, mußt Du das Ganze Blatt für Blatt durchgehen und alles, was Du weißt, eintragen.“ Worauf Wilhelm erwiderte: „Unsere Sagensammlung wird auch durch einiges von mir vermehrt werden, und ich halte sie allerdings für das Wichtigste und ich habe auch immer in diesem Sinn gearbeitet.“ Man sieht, daß die Brüder auf ernste wissenschaftliche Arbeit hinauswollten, und daß ihre Absicht war, der Geschichte der deutschen Poesie durch Sammlung und Verwertung der Sagen einen Dienst zu leisten.

Es entstand damals bei Jacob im Einvernehmen mit Wilhelm der Plan, einen „Altdeutschen Sammler“ zu begründen, ein Gedanke, der später in den „Altdeutschen Wäldern“ seine Verwirklichung gefunden hat. Clemens Brentano war, wie für alles Neue, so auch für den Altdeutschen Sammler enthusiastisch eingenommen, drängte zur Ausführung und forderte einen Plan ein, den Jacob ausführlich ihm lieferte. In dieser „Aufforderung an die gesamten Freunde deutscher Poesie und Geschichte erlassen“ (den ich in dem Briefwechsel Clemens Brentanos mit den Brüdern Grimm, 1914, mitgeteilt habe) legte Jacob das Hauptgewicht auf die Sammlung der deutschen Sagenschätze. „Wir gehen aus,“ heißt es, „alle mündliche Sage des gesamten deutschen Vaterlandes zu sammeln, und wünschen nur in dem Nachstehenden die Allgemeinheit und Ausgedehntheit des Sinnes, worin wir die Sache nehmen, nicht verfehlt zu haben. Wir sammeln also alle und jede Traditionen und Sagen des gemeinen Mannes, mögen sie traurigen oder lustigen, belehrenden oder fröhlichen Inhalt haben, auch aus welcher Zeit sie seien, mögen sie in schlichtester Prosa herumgehen, oder in bindende Reime gefaßt sein (ja es scheint uns die erstere insofern wichtiger, als sie reichhaltiger verspricht), mögen sie mit unserer Büchergeschichte übereinstimmen, oder ihr (was der häufige Fall sein wird) stracks zuwiderlaufen und gar in einem andern Sinn sich als ungereimt darstellen. Gegen das vornehme Absprechen über die Sage brauchen wir blos die Beispiele edler, wahrer Geschichtschreibung von Herodot an bis auf Johannes Müller zu setzen. Ist nicht die

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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)