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Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

Grausamkeit nicht ganz recht, aber die Berührung mit Goethe auf der einen, mit der nordischen Romanze, die ich damals von Wilhelm übersetzt erhielt, und mit dem Cid in Hinsicht des Aufrichtens toter Leiber [auf der anderen Seite] bestimmte den Abdruck.“ Das letzte sind Hindeutungen auf Gesichtspunkte, die sich allerdings im 30. Einsiedler-Blatte ausgedrückt finden. Im übrigen aber war dies durchaus gegründete und eigentümliche Urteil doch beeinflußt durch die Ausstellungen, die Arnim an dem ersten Märchenbande der Brüder Grimm zu machen hatte. Da der Band nicht bloß Märchen für Kinder zum Lesen, sondern wesentlich auch Märchen für Eltern zum Nacherzählen enthalte, tadelte er, daß dies Verhältnis auf dem Titel des Buches nicht zu genügendem Ausdruck komme. Er wies auf einzelne Märchen hin, die in die Sammlung nicht gehörten. Der Verschiedenartigkeit des Tones, die in den Märchen herrschte, widersprach er von Anfang an auf das bestimmteste und traf hierin mit Friedrich Schlegel zusammen, der sich auf dieselbe Weise äußerte. Arnims Urteil hat, so fest anscheinend beide Teile in ihrem prinzipiellen Gegensatze beharrten, dennoch entscheidend auf die spätere Gestaltung der Grimmschen Märchen eingewirkt. Seinen Anregungen entsprechend ist einzelnes fortgelassen oder umgeändert, das Ganze aber allmählich auf einen gleichmäßigeren Ton stilisiert worden. Und so bewährte sich Arnims Satz, daß der bildende, fortschaffende Trieb im Menschen gegen alle Vorsätze siegend und schlechterdings unaustilgbar sei, selbst bis zu einem gewissen Grade an seinen lieben Gegnern in Kassel, mochte er auch bei der Durchsicht des zweiten Märchenbandes wünschen (10. 2. 1815), Wilhelm hätte noch mehr nachgeholfen, denn: „mancher Märchenschluß wäre mehr befriedigend ausgefallen, ich meine in der Art, wie Runge mit seinen beiden Märchen verfahren ist.“

Man könnte in der Übertreibung sagen: unsere ganze Literatur von damals ist eine Verarbeitung von Märchenstoffen, die jeder Dichter auf seine Weise und mit seinem Rechte trieb. Auch bei Arnim und Brentano ist dies der Fall. Brentano wollte, wie er 1810 Runge ausdrücklich schrieb, den Machandelboom und den Fischer in seine Märchenbearbeitung einfügen; die von Guido Görres schließlich herausgegebenen Bände enthalten sie nicht (vgl. auch Cardauns 1895 S. 5), doch hätte Brentano, wenn

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1903, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Umbildung_Fischer_und_siner_Fru.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)