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Im 62. Abendblatt, vom 11. Dezember 1810:

 Richtschnur.
Wisse, stets wird recht dein Handeln sein in dem Leben,
     Wuchert des Handelns Kern nicht in dein Leben hinein.
 W.

Als ich in den „Berliner Kämpfen“ (S. 212) auf diese W-Distichen zu sprechen kam, erwog ich mit negativem Ergebnis die Frage, ob vielleicht der Berliner Arzt Wolfart oder der Historiker Weltmann als Verfasser in Betracht zu ziehen seien. Jetzt bin ich davon überzeugt, daß Wetzel der gesuchte Autor ist. Das einfache wie das doppelte Distichon begegnet auch sonst bei ihm, in seinen „Gesammelten Gedichten und Nachlaß“ S. 389 und 393. Satirisch sind alle. Gelänge mir nun, ein einziges der obigen Distichen augenscheinlich und sinnfällig für Wetzel in Anspruch zu nehmen, so zöge dies die übrigen mit in Wetzels Lager hinein. Das scheint mir bei dem obigen Distichon „Eigentliches Leben“, das bequemem Verständnisse widerstrebt, recht der Fall zu sein. Es zeigt nämlich die eigentümliche Schubert-Wetzelsche Antithese von Leben und Tod, wie sie Schultz mehrfach zur Erhärtung seiner Ansichten vorträgt (S. 198. 258. 288. 289). Schubert erklärt 1806: „Von dem Tod, von dem endlichen Untergang des Besonderen, müssen wir zuerst handeln, damit hernach der wahre Grund des Lebens erkannt werde. Denn das Leben gehet erst aus dem Tode hervor, und seine [des Lebens] Elemente ruhen auf scheinbarer Vernichtung. Seine [des Todes] Gluth verzehrt die starre Besonderheit und hebt endlich das Dasein des Einzelnen auf, indem es dieses mit dem Ganzen vermählt. Und diese Vermählung [der Tod] ist es, welcher alle Dinge mit innigem Verlangen entgegen gehen. Darum steht den glühendsten, schönsten Augenblicken des Lebens der Tod am nächsten, und das irdische Dasein vergeht immer mehr, je lebendiger sich die höheren Kräfte regen.“ Ebenso sagt Wetzel 1808: „Darum ist der Tod Grund und Vater des Lebens, ja das wahre und ewige Leben selbst“ – oder 1806 (in den Briefen über Browns System der Heilkunde): „Darum ist kein Tod ohne Geburt und keine Geburt ohne Tod, so daß beiden Worten einerlei Deutung beiwohnt. Denn alles Lebens Regel und Gesetz ist, daß es durch ewigen Wechsel des Sterbens und Geborenwerdens den unendlichen Kreis alles Daseins beschreibe, und so in seiner Endlichkeit die Herrlichkeit und Seligkeit des Universums genieße.“ Aus diesen Ansichten heraus will also das obige Distichon begriffen sein und besagt also: daß das eigentliche Leben nur dann besteht und sich zeigt, wenn das Leben widerstrebt, d. h. den Tod verlangt; ist aber Todesgefahr nicht vorhanden oder tritt kein Tod ein, so hört das Leben auf, Leben zu sein, es tötet sich selbst, es wird ein Nichts. Genau so wie Wetzel in

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Friedrich Gottlob Wetzel als Beiträger zu Heinrich von Kleists „Berliner Abendblättern“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig 1911, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Wetzel_Berliner_Abendblaetter.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)