Seite:Studie über den Reichstitel 08.png

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restaurieren, in das Reich der romantischen Träume.“ Gerade dieses Beispiel zeigt, wie tief die von Meinecke gebrauchte Formel gegenwärtig eingewurzelt ist; denn Pfizer selbst spricht weder in der ersten noch in der zweiten Auflage seiner Schrift vom „heiligen römischen Reich deutscher Nation“, sondern nur vom „heiligen römischen deutschen Reiche“. Das entspricht der Tatsache, daß, wie wir sehen werden, zu Pfizers Zeiten die fragliche Formel noch nicht so allgemein üblich war wie heute.

In dem zuletzt erwähnten Falle dürfte die Bezeichnung mehr auf das Reich der letzten Jahrhunderte bezogen sein als auf das des Mittelalters. Ganz ausdrücklich aber bezieht sie einer unserer ersten Rechtshistoriker auf die frühere Zeit. Andreas Heusler sagt in seiner Deutschen Verfassungsgeschichte, wo er von der Kaiserkrönung Ottos I. spricht, S. 125: „Deutschland war jetzt an die Spitze der westeuropäischen Christenheit gestellt, auf die deutsche Nation wurde das Kaisertum gegründet, sie war der Träger dieser Macht geworden, die fortan als heiliges römisches Reich deutscher Nation existierte.“ Hier wird mit aller wünschenswerten Deutlichkeit die Meinung ausgesprochen, daß das heilige römische Reich deutscher Nation seit der Zeit Ottos I. unter diesem Namen bestehe; und mit dieser Annahme steht Heusler unter den Vertretern der mittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte keineswegs allein. Vielmehr knüpft er damit nur an eine im 17. Jahrhundert entstandene und seit Karl Friedrich Eichhorn in steigendem Maße in Aufnahme gekommene wissenschaftliche Tradition an, wie wir das später eingehend nachweisen werden.

Und doch ist diese Annahme völlig unhaltbar, historisch in keiner Weise begründet und aus den Quellen leicht als falsch zu erweisen. Das Richtige ist, daß der Titel „Heiliges römisches Reich“ ohne den Zusatz „deutscher Nation“ erst nach der Zeit der Ottonen langsam und allmählich entstanden und bis über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus in Gebrauch geblieben ist. Erst dann tritt jener Zusatz hinzu, der etwa ein Jahrhundert lang sehr häufige Anwendung fand, ursprünglich aber und im offiziellen Gebrauch stets nur bezweckte, den deutschen Teil des Reiches im Gegensatz zu den außerdeutschen Nebenländern, nie aber das Reich als ein von der deutschen Nation abhängiges

bezeichnen sollte. Demgemäß ist der Reichstitel mit jenem Zusatze

Empfohlene Zitierweise:
Karl Zeumer: Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1910, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Studie_%C3%BCber_den_Reichstitel_08.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)