Seite:Studie über den Reichstitel 38.png

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Jahr 1843 bei der Ausmalung des Römers einen Reichsadler an der Decke des Kaisersaales mit der Umschrift „heiliges römisches Reich deutscher Nation" versehen ließ. Jedenfalls war diese Umschrift im Geiste und Sinne Böhmers gewählt und in seinem Geiste hat auch sein treuester und bedeutendster Anhänger und Mitstreber Julius Ficker die gleiche Bezeichnung für das Reich immer wieder gebraucht und stark betont, weil er darin den seiner Auffassung von dem Wesen des Reichs im Mittelalter adäquaten Ausdruck fand.[1]

Aber schon vor ihm hat Wilhelm Giesebrecht, wohl anknüpfend an Karl Friedrich Eichhorn, den Ausdruck in ähnlichem Sinne verwendet, und zwar in dem 1855 geschriebenen Vorwort zu seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Er sagt dort: „Das Buch … beginnt von der Gründung des deutschen Königtums und des römischen Kaiserreichs deutscher Nation, stellt … die Glanz- und Blütezeit dieses Reiches dar, indem es von den glorreichen Thaten der Ottonen, der fränkischen Kaiser und Hohenstaufen erzählt“. Auch hier erscheint Otto I. als der Begründer des römischen Kaiserreiches deutscher Nation, und diese Bezeichnung als der Ausdruck der Tatsache der Herrschaft der deutschen Kaiser über das Reich, ganz wie bei Eichhorn und seinen Vorgängern.

Besonders eindringlich aber hat, wie schon angedeutet, Ficker sich der Bezeichnung angenommen und sie in engste Verbindung mit seiner Auffassung der Bedeutung des Kaisertums für den Entwicklungsgang der deutschen Geschichte gebracht. Nach dieser Auffassung konnten die deutschen Herrscher und die deutsche Nation ihre welthistorische Aufgabe, den festen Kern inmitten der europäischen Völker zu bilden, auf die Geschicke Mitteleuropas

entscheidend einzuwirken, die universale Kirche in der

  1. Offenbar denkt auch F. Löher, Fürsten und Städte, Halle 1846, an unsere Formel, allerdings ohne sie ausdrücklich zu nennen, und zwar in der ihr von Eichhorn gegebenen Deutung, wenn er in § 10 S. 29 f. sagt: „Diese Idee des deutschen Volkes und Reiches tritt oft genug in der Geschichte hervor, teilweise wurde sie erreicht. In ihr ist zum Teil auch die Verehrung und Heiligkeit des römischen Kaisertums zu fassen, das der Hort für die Welt sein sollte, wie es selbst deren Mark enthielt, und es wäre dem Mittelalter als ein Unsinn erschienen, dieses römische Kaisertum mit einer anderen als der deutschen Nation zu vereinbaren.“
Empfohlene Zitierweise:
Karl Zeumer: Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1910, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Studie_%C3%BCber_den_Reichstitel_38.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)