Seite:Tagebuch Russlandfeldzug 0023.jpg

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sie mit nicht gemeinen äußern Vorzügen vor ihren Nebenschwestern ausgezeichnet hat. Die neuesten geschmackvollsten Moden sind noch zu wenig ihre schöne Taille zu heben und sie bemerkbar zu machen, auch widernatürliche Mittel, worunter vorzüglich die Schminke an der Tagesordnung ist, müßen das ihrige hierzu beitragen. – Pianoforte, Guitarre und wenn die Stimme es erlaubt, – Gesang, sind Dinge die man bei den mehresten pohlnischen Damen antrift, und womit sie den Fremden, wenn sie seine Mundart nicht sprechen, Unterhaltung zu verschaffen suchen. Ob sie in ihren Innern eben so gute Hausfrauen und Mütter, als in gesellschaftlichen Zirkel Modedamen sind, hierüber mögen diejenigen entscheiden, welche längern Umgang in solchen Häusern genoßen haben. Pohlnischen Damen (von und ohne Adel) seinen Gruß und Ehrerbietung zu bezeigen, drückt der Handkuß aus, Dames unter einander durch den gegenseitigen Kuß auf die Schulter, Mannspersonen durch den Kuß auf den Mund. Eine Dame von Range oder sonst einigen Ansehn auf den Mund oder die Wange zu küßen, zumal in Gegenwart mehrerer Personen, ist eine der größten Beschimpfungen, die so leicht nicht wieder verziehen wird, indem es in Pohlen Sitte ist, daß nur Buhlerinnen diese Freiheit erlauben sollen.

Knechtschaft.     Der gemeine pohlnische Bauer kennt nicht die jeden Menschen angebohrne Freiheit und angestammte Würde. Nach den in seinem Lande bestehenden Feudal-System wird er vom Sklav als Sklav gebohren, er vermehrt durch seinen Eintritt in die Welt die Seelenzahl seiner Guthsherrschaft, und wird von dieser als ein künftiges Capital blos pecuniär betrachtet. Er ist daher nicht Herr seines freyen Willens, denn jeder Schritt seiner künftigen Laufbahn ist seinem Gebieter untergeordnet. Er kann ohne die äußerst schwer zu erlangende Genehmigung deßelben weder auswärts eine Profession erlernen und auf selbige wandern, noch außerhalb des Gebiets

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
F. W. Winkler: Bemerkungen über den Feldzug gegen Rußland in den Jahren 1812 und 1813., Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tagebuch_Russlandfeldzug_0023.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)