Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/85

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zu den saporogischen Kosaken gekommen und der Sänger, der das Instrument handhabt, heißt Kobsar.[1])

Die erste gefällige Auflage des „Kobsar“,[2]) die nur 8 Gedichte enthält, war jedoch ein Samenkorn, das zum fruchtbaren Baume emporwuchs. Schon 1844 folgte eine neue Ausgabe, betitelt „Kobsar von Tschyhryn“, und 1860, 1867, 1869 die erweiterte. Nach der Bibliographie von Komarow waren schon bis 1886 im ganzen 14 Ausgaben vom „Kobsar“ herausgegeben, einzelne längere Gedichte in Separatdruck nicht inbegriffen. Aber erst 1906 erschien die vollständige Ausgabe, die, in 10.000 Exemplaren gedruckt, im Laufe eines halben Jahres vergriffen wurde; 1908 redigierte Iwan Franko eine textkritische Edition, der eine wertvolle Ausgabe (in mehreren Auflagen) von Julian Romantschuk im Auftrage des ukrainischen Volksbildungsvereines „Proswita“ in Lemberg folgte. Der letzte „Kobsar“ erschien in Wien 1915.

Schon in der ersten kleinen Ausgabe vom Jahre 1840 tritt Schewtschenko als reifer Dichter hervor und die acht Gedichte spiegeln die wesentlichen Seiten seiner lyrischen Poesie wieder: den Patriotismus, die Balladenstimmung, den kosakischen Geist und die sittlich-religiöse Idealität. Schewtschenko ist selbst der alte blinde[3]) Perebendja, von dem es in dem gleichnamigen Gedichte heißt, daß er die Kobsa spiele; und wer spielt, wird von den Leuten gekannt und von ihnen mit Dank belohnt.

Der dieses literarische Debüt einleitende Vorgesang („Dumy moji, dumy moji“) gibt schon den Schlüssel zu der dichterischen Persönlichkeit Schewtschenkos.


  1. Vergleiche bei den Südslawen: gusle – guslar.
  2. Ein phototypischer Abdruck der ersten Ausgabe erschien im Jahre 1914 in Lemberg.
  3. Wie die Guslaren in den südslawischen Ländern, waren die Kobsaren der Ukraine öfters blinde Greise. Es war ja natürlich, daß die Unfähigkeit zur körperlichen Arbeit dem Blinden Gelegenheit gab, sich durchs Singen das Brot zu verdienen. Aber darin lag auch ein höherer Sinn: das Volk glaubte, der Blinde könne eben, dank des Verlusts der physischen Sehkraft, um so tiefer in sich selbst, in das Wesen der Dinge Einblick nehmen.