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tiefsinnig wurde. Ihre letzte Stütze war gebrochen, und sie mußte nun auf sich selber stehen, in der That mit schwachen Füßen, denn das hinterlassene Vermögen des Obervogts wurde nicht so groß erfunden, als vermuthet wurde. Als ein gutthätiger, gastfreundschaftlicher und uneigennütziger Mann konnte er keine große Schätze aufhäufen. Crescentiens Erbtheil fiel also auch nicht so beträchtlich aus, als sie gehofft hatte. Nur durch große Einschränkungen und eine Sparsamkeit, an die sie nicht gewöhnt ist, kann sie unabhängig leben. Im Hause, das nun dem Schwager zufiel, galt sie nichts mehr, und wenn sie sich einmal einfallen ließ, ihrer bösen Laune, wie sonst, Luft zu machen, wurde sie von Theresen und zuweilen auch von Miltenheim an ihre Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht etwas nachdrücklich erinnert. Sie fing nun an, herumzureisen, und bald da bald dort einzusprechen; allein sie kann wohl merken, daß sie nirgends in die Länge angenehm ist. Selbst nie gewohnt ihre, Mitmenschen zu schonen, findet auch sie nirgends Lindigkeit und theilnehmendes Wohlwollen.

Gegenwärtig zieht sie einem jungen Menschen nach, der eine Zeit lang als Gehülfe in der Apotheke zu Nellenburg stand. Er war einigemal an einem dritten Ort zufällig mit Crescentien zusammen gekommen, hatte ihr vielleicht einige Artigkeiten gesagt, vielleicht auch, ohne

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Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_054.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)