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Die Freunde.

Zwei Freunde wandelten durch einen dichten Wald.
Der Eine sprach: „Hier ist der Bären Aufenthalt.“
Der Andre sprach: „Hier sind von rohen Diebeshorden
Oft Reisende beraubt, und oft getödtet worden.“

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Dann sprachen Beide: Wohl, was uns auch treffen mag,

Als Freunde waren wir vereint bis diesen Tag.
Wir bleibens künftig auch, und werden in Gefahren
uns durch verbundne Kraft in jeder Noth bewahren.“

Kaum war dieß Wort gesagt, da zog ein großer Bär

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Auf unsre Freunde schon aus dem Gebüsche her.

Der Eine flüchtete sich gleich auf eine Eiche,
Der Andre aber fiel, und lag wie eine Leiche
Am Boden hingestreckt, weil er einmal gehört,
Daß nie ein Bär vom Fleisch erschlagner Menschen zehrt.

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Der Bär sprang auf ihn los, er aber hielt den Oden[1],

Der Bär beroch ihn rings und leckt’ ihn an dem Boden,
Und lief zuletzt davon, weil er als todt ihn nahm.

Jetzt sprang der Freund vom Baum, und als er nahe kam,
Rief er: „Was hat der Bär dir in das Ohr gesprochen,

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Als er am Boden dich beschnuffelt und berochen?“


„Er hat, sprach Jener, mich gewarnt: Nimm dich in Acht,
Vor Freunden, die die Noth dir sogleich untreu macht.“


  1. Vorlage: Odem (Druckfehler, Seite 375)
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_074.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)