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langer, ansehnlicher Mann, der Kleidung nach einem Bauersmann nicht ganz unähnlich. Er war zwar gar alt und eisgrau, aber so schönen holdseligen, röthlichen und jungen Angesichts, daß es zu verwundern. Der hielt die Magdeburger an, und fragte sie, wo sie mit dem Kriegsvolk und der Kriegsrüstung hinaus gedächten? Und da er ihres Vorhabens unterrichtet, hat er sie mit aufgehobenen Händen herzlich gebeten, von ihrem Vorsatze abzustehen, wieder heim zu kehren und ihrer Stadt Acht zu haben, und ja des Orts, und sonderlich der Zeit nichts vorzunehmen, indem gerade vor zweihundert Jahren auf den Tag und an dem Ort die Magdeburger geschlagen worden, wie ein Jeder, der es nicht wüßte, auf der Tafel in der Sanct Johannes-Kirche zu Magdeburg lesen könne; er ermahnte sie, daß es ihnen gewiß auch dieses Mal unglücklich ergehen werde, wenn sie nicht umkehrten.

Ob nun wohl sich Etliche über die Person und die Rede dieses Mannes verwundert, so haben doch ihrer sehr Viele seiner gespottet und die Warnung höhnisch verachtet. Das ist ihnen aber zu ihrem großen Unglück geworden.

Die Magdeburger rückten nämlich weiter, und früh um sieben Uhr trafen sie auf den Feind. Sie griffen diesen sogleich an, aber schon nach einer halben Stunde waren sie so auf das Haupt geschlagen, daß sie 1200 Todte und 300 Gefangene verloren hatten, und daß 11 Stück Feldgeschütz und 11 Bürgerfähnlein in die Hände der Feinde gefallen waren. Absonderlich war keiner von den Spöttern des alten Warners unerschlagen oder ungefangen geblieben.

Dabei trug sich auch noch folgender verwunderliche Umstand zu, der den Meisten das Leben kostete. Die Magdeburger hatten nämlich, als sie dem Feinde entgegen gingen, das Flüßlein, die Ohre genannt, passiren müssen, welches

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_138.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)