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 Daß dieses Mal auch in Bruckberg zum ersten Male so vielen Armen eine Freude bereitet werden konnte, war auch uns eine Herzensfreude. Ich ließ das Schloß Bruckberg als Zuckerstückchen prägen und überraschte damit die Schwestern am Heiligen Abend.

 Vielleicht ist uns doch im Jahre 1893 ein Wiedersehen beschieden. Es könnte wohl einmal wieder jemand hieher kommen. Herrn Rektor predigen zu hören, so oft wie es uns gegönnt ist, ist ein großes Glück. Gott hat uns unendlich reich wieder gemacht. Herr Rektor hat mir zum Geburtstag einen wunderbar schönen Brief geschrieben. Nach all dem Schmerzlichen, was wir durchlebt, bin ich doch so voll Dank und Freude und Frieden.

In herzlicher Liebe grüßt Euch alle Eure Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 14. Jan. 1893

 Meine liebe Selma, ich freue mich, daß Ihr Kirchengeschichte treibt. Aber daß nur die Biblische Geschichte vor allem recht bekannt wird! Es sollte auf allen Stationen ein heiliger Wetteifer entstehen, in alle Gebiete der heiligen Schrift tief einzudringen. Wollt Ihr Euch für diesen Gedanken begeistern? Liebe Selma, wolltest Du nicht auch mit den Pfründnern etwas treiben? Man muß diesen alten Seelen einen Stoff bieten, mit dem sie sich befassen, sonst ist’s nur Essen und Trinken, wovon sie erfüllt sind, – und wie traurig ist das! Laßt’s uns doch recht ernst nehmen mit allen Pfleglingen, die uns befohlen sind.

 Heute haben wir der Leiche der jungen Norwegerin Matthea Bendicta[1] das Geleit gegeben auf ihrem Weg nach ihrer Heimat. Sie starb vorigen Sonntag ganz plötzlich; die armen Eltern reisten hieher. Erst heute konnte sie fortgebracht werden. Sie sah so „wonnesam“ aus im Leichenhaus – die Myrten im Haar, vom langen, weißen Schleier umwallt und von zarten Rosen umgeben. Bei furchtbarem Wetter pilgerten wir hinaus bis an die Grenze der Dettelsauer Markung, wo von Herrn Rektor noch einmal gebetet und gesegnet wurde.

Behüte Euch Gott! Deine Mutter.



  1. Matthea Benedikta Walther, Apothekerstochter aus Christiania, war Hospitantin der Blauen Schule und starb am 8. Januar 1893.
Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/105&oldid=- (Version vom 14.8.2016)