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 Ich erhielt von Schwester Karoline Kienlein am Sonntag abend ein Telegramm: „Herr Präsident schwer krank – komme!“ Da eilte ich fort und war am andern Morgen an seinem Krankenbette. Er kannte mich, sprach aber fast nichts. Nachmittags empfing er das hl. Abendmahl. Meist lag er still da und faltete oft die Hände und schaute uns so unzählige Male ernst und sehnsüchtig an. Ein paar Stunden in der Nacht war er unruhig, wie wenn die Todesangst über ihn gekommen wäre. Morgens glaubten wir sein Ende nahe; wir weinten und dankten ihm für alles, alles. Da brach er auf einmal das Schweigen und sagte: „Der Herr sei mit euch“ und nach einer kleinen Pause: „Mit euch allen“. Ich segnete ihn ein, – es war noch zu früh, er lag dann wieder still und wir warteten auf den letzten Atemzug. Ich sagte ihm noch das Wort: „Da sie ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand denn Jesum allein.“ Da sagte er „wir“ noch einmal. Und das war das Letzte. Die Augen blickten starr und verwundert nach einem Punkt, wie wenn etwas aus der andern Welt sich schon zeigte. Dann legte sich jener bittere Zug aufs Gesicht, den man oft bei Sterbenden sieht, – und der Atem stand still.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 22. Juli 1897

 Meine liebe Schwester Elisabeth, Du kannst Dir kaum denken, welch eine bewegte, ereignisvolle, wunderliche Zeit jetzt unter uns ist. Vorigen Sonntag hielt Herr Konrektor seine Abschiedspredigt, gestern predigte er in Gunzenhausen beim Missionsfest. Die Kinder singen ihm diesen Abend: „Ach bleib mit deiner Gnade“, und dann strömen die Schulen auseinander, zum Teil auf Nichtwiederkommen.

 Und in all diese Bewegung hinein fällt das Anerbieten, wir sollen die Jakobsruh kaufen! Gerade da ich mich mit dem Gedanken trage, wir sollten eine Erholungsstation haben, nicht ganz hier, aber auch nicht ferne von hier. Gestern war Herr Rektor mit mir und Bruder Bertlein und ein paar Schwestern drüben. Da lag es alles so sonnenbeglänzt da, und gerade war ein Regenbogen sichtbar. Die goldenen Ähren,

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/127&oldid=- (Version vom 22.8.2016)