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teil, sie sollen mit wachen, daß nichts unter uns geschieht, was den unserm Hause ausgeprägten Intentionen widerspricht, vor allem, daß nichts geschieht, „was Dich, mein Gott, beleidigen möchte“. Aber die noble und ideale Auffassung, welche die Vorstände gern den Schwestern gegenüber festhalten möchten, muß auch verstanden und in entsprechender Weise erwidert werden. Es muß doch etwas Gescheites, Begründetes sein, was die einzelne Schwester bei entgegengesetzter Auffassung der Dinge zu sagen hat, und die Form der Darstellung muß doch die der Bescheidenheit und nicht der Anmaßung und Selbstüberschätzung sein. Vor vielen Jahren schon, als ich noch nicht zum „Regiment“ gehörte, habe ich mir vorgenommen: Was ich meinen Vorständen nicht ins Gesicht sagen kann oder darf, darüber schweige ich auch gegen andere. Ich kann und darf ja alles Gott sagen.

 Ich habe schon allerlei erlebt. Gestern abend war ich bei der Jubiläumsfeier von drei Schwestern. Hier machen sie die Sache anders als wir, nehmen das Jubiläum schon vom Eintritt an. Da gelangt man schneller zu den fünfundzwanzig Jahren! Nun, wir wollen schon bei unserm Usus bleiben.

 Heute morgen telephonierte Schwester Selma von München, ob ich nicht den Besuch der Kaiserin in München miterleben wolle. Ich gehe aber nicht hin, obwohl selbst Herr Rektor mir den Gedanken in die Seele legt. Ich will mich jetzt mit aller Energie darauf verlegen – soweit es halt auf mich ankommt –, daß ich wieder frischer für die geliebte Arbeit werde.

 Gestern war ich in der Sakristei zu St. Jakob, wo ich einst so glücklich zu Bomhards Füßen saß. „Wie fleugt dahin der Menschen Zeit, wie eilet man zur Ewigkeit!“

Dein getreuer „Mitbürger“ Therese.


An die Schwestern in Schönwald.
Neuendettelsau, 8. Dez. 1906

 Mein liebes Schönwald, wir haben so viel erlebt. Ihr könnt Euch denken, wie mich der Tod von Marianne Löhe[1] bewegte. Am Todestag ihrer Mutter starb sie, und wenige Stunden darnach starb Herr Paul Löhe. Das war ein


  1. Einzige Tochter Löhes.
Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/168&oldid=- (Version vom 17.10.2016)