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An ihre Schwester Ida.
22. November 1884

 Meine liebe Schwester, ich danke Dir noch einmal recht von Herzen für die schönen Stunden, die ich bei Euch verleben durfte.[1] Es war doch ganz besonders schön, und ich freue mich, daß ich habe dabei sein dürfen. Ich bin glücklich heimgekommen. Von Wicklesgreuth bin ich zu Fuß gegangen, es war ganz schön. Das Leben in der Familie ist harmloser als das unsere. Es ist doch ein rauherer Weg für uns, aber ich bin dankbar, daß ich gerade diesen geführt bin, und bin sehr froh und glücklich dabei. Ich finde aber, daß sich die häßlichen weiblichen Eigentümlichkeiten oft in unserm Stande ungehinderter entfalten als in der Familie...

In dankbarer Liebe Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 28. Nov. 1884

 Meine liebe Schwester Charlotte, manchmal bitte ich, daß ein Engel die verschiedenen Stationen besucht und ihnen einen Friedensgruß überbringt. Das ist dann besser, als wenn der Postbote einen kleinen Brief bringt. Aber zum Advent möchte ich mich doch auch mit so einem papierenen Gruß einstellen. Es geht Euch ja hoffentlich gut, und Ihr tragt in der Kraft Gottes die Not des täglichen Lebens, deren Lauf ja mit jedem Tag kürzer wird, wir wollen uns getrost hindurchringen, hindurchbeten und jetzt auch mit mancherlei heiligem Klang hindurchsingen. Es ist ein kleiner Anhang zu unserem Gesangbuch gedruckt worden, damit wir in den Festzeiten noch etliche alte Lieder zu denen im Gesangbuch hätten.

 Vorige Woche bin ich beim 88. Geburtstag in Augsburg gewesen. Marie und Luise waren auch da. Es war ganz wunderschön, am schönsten der guten alten Mutter Demut. „Ach, daß so einer armen, vergessenen Frau dies alles zuteil wird! Ich kann nichts tun zu Gottes Ehre, aber ich will dankbar alles annehmen.“ Eine rührende Dankbarkeit ist so etwas besonders Charakteristisches an unserer lieben Mutter.

 Wir sollen mancherlei Neues übernehmen, werden nicht alles können. Doch sind etliche hoffnungsvolle Blaue da. Nächste


  1. 88. Geburtstag der Mutter.
Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)