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Woche, so Gott will, ziehen die kleinen Roten auch in ihre Stuben ein. Den neuen Schlafsaal wollen wir erst zur Weihnachtsbescherung benützen. Die Grünen schlafen noch im Hospiz.

 Gott segne Dich, meine liebe Schwester! Er wolle unsere Herzen brennend machen in Liebe zu Ihm.

Deine getreue Mitpilgerin Therese.


An ihre Schwester Mina.
Neuendettelsau, 8. Dezember 1884

 Liebe, gute Tante Mina, da sollte es heute ein langer Brief werden zum Geburtstag, aber er wird wahrscheinlich doch nur kurz; das tut aber den Wünschen, die er enthält, keinen Eintrag. Liebe Tante Mina, Gott schenke Dir ein fröhliches, dankbares Herz, das immer nur von Gottes Wohltaten zu erzählen weiß. Ich habe schon recht den Unterschied unter den Menschen kennen gelernt: die einen haben immer zu klagen, die andern immer zu danken. Schließlich hat unser Klagen nur im Hochmut seine Wurzel, wie die Dankbarkeit ihren Grund in der Demut hat. Wir wollen miteinander immer dankbarer werden für alles, was uns Gott schickt, auch für das Leiden.

 Es war doch ein wunderschöner Tag neulich, der 19. November. Gott segne unsre liebe Mutter, die uns doch stets ein Vorbild in der Demut und Dankbarkeit gewesen ist.

 Heute ist der Gärtner mit etlichen hinausgegangen, um die Weihnachtsbäume und Tannenzweige und Moose zu holen. Das ist bei unsern vielen Anstalten immer ein großes Geschäft. Wir wollen diesmal in dem neuerbauten Schlafsaal der Grünen Schülerinnen, der noch nicht bezogen wird, die Christbescherung halten. Herr Rektor mahnt immer, den „Schnickschnack“, wie er sagt, zu beschränken, damit man Stille habe, sich aufs Fest zu bereiten und still das Kindlein in der Krippe anbeten zu können.

 Nun ist Fräulein Rehm auch heimgegangen, ganz sanft und still. Ich mußte es mir neulich so vorstellen, wenn von einer zahlreichen Familie zuletzt nur wenige, zuletzt nur ein einziges Glied übrig bleibt, wir wollen nur ja recht heimisch werden droben, damit uns die Erde nicht mehr fesselt, wenn es Zeit ist, daß wir die Erde verlassen. Heute wird Herr Pfarrer Fischer

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)