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 ...Gestern bei der Haubenfeier hat Herr Rektor so ein gutes Wort gesagt: das Wort Gottes redet mit einem jeden Menschen die Sprache, die gerade für ihn die rechte, die verständliche ist. Gott redet mit den einzelnen Menschenherzen, wie sie es bedürfen. Etwas von dieser Art sollen wir Menschenkinder in unserem winzigen Maße uns auch schenken lassen, die Menschen zu verstehen suchen, hinhören, wie sie es meinen, sie ausreden lassen etc. Gott weiß mit den Müden zu rechter Zeit zu reden; davon sollen wir auch etwas lernen.

 Gestern wurde schon mit dem Einglasen der bunten Fenster in der Kirche angefangen.

Behüt Dich Gott! Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 1. Mai 1887

 Meine liebe Elisabeth, weißt Du noch, wie wir vor zwei Jahren an Deinem Geburtstag nach Schillingsfürst fuhren? Wir sollten die Umgestaltungen dort sehen. Schillingsfürst ist mir so eine besonders liebe Station, ich glaube, ich spüre die vielen Gebete, die über dem Elisenstift gewaltet. Und nun haben wir in den zwei Jahren viel durchlebt und sind wohl auch beide noch etwas tiefer eingedrungen in das Geheimnis von Sünde und Gnade. Nimm das als meinen Geburtstagswunsch, meine Schwester, daß Du mögest tiefer und immer tiefer in dies Geheimnis eindringen. Mir liegt das so im Sinn, daß ich möchte diese eine große Hauptsache so in meinem Leben dominieren lassen, daß mir all das andere äußere Getriebe dagegen gering erscheint; ich möchte aus diesem Mittelpunkt heraus leben, willst Du darin mit mir einen Weg gehen?

 Nicht wahr, Du betest auch ernstlich in dieser pfingstlichen Zeit, sonderlich an dem großen Bittag, dem Himmelfahrtsfest, daß der Geist unter uns Seine reinigende, läuternde, verklärende Macht erweise. Das Wort kann ja nicht leer zurückkommen, steht im Propheten geschrieben; also müßten auch unter uns große, tiefgehende Wirkungen des reichlich verkündigten Wortes sein.

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/35&oldid=- (Version vom 5.7.2016)