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 Ich glaube, daß man auch bei der Kindererziehung viel beitragen kann zu einem glücklichen späteren Leben. Abgesehen von den Hauptsachen, auf die es dabei ankommt, soll man doch ja auch keine Launenhaftigkeit und unbegründete Verdrossenheit bei den Kindern dulden.

 In letzter Zeit beschäftigt mich auch zuweilen der Gedanke, daß wir doch bei der Kindererziehung uns recht die Weisheit erbitten sollen, die den richtigen Unterschied macht in der Behandlung der Fehler und der Sünden. Daß ein Kind einmal, was man so nennt, „über die Schnur haut“, ungezogen sich benimmt etc., ist ja nichts Schweres. Aber wenn man Lüge oder verstecktes Wesen wahrnimmt, da soll man mit großem Ernst und heiliger Strenge eingreifen. Ich würde als ein Ziel, das unter allen Umständen zu erstreben ist, das Doppelte stellen: die Kinder müssen gehorchen, aufs Wort gehorchen, und sie müssen wahr und aufrichtig sein und sich geben, wie sie sind.

 Grüße die Schwestern und auch alle Deine Kinder.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 11. Mai 1889

 Meine liebe Elisabeth, ich möchte Dich doch gerne jetzt manchmal am Sonntag grüßen und dadurch mit Dir in lebendiger Geistesgemeinschaft feiern. Ich ertappe mich immer wieder über einem so „Zuleben“, das wie eitel Tod ist, und es ist doch die Zeit jetzt vorsichtig zusammenzunehmen, sonst überfällt uns doch das Ende ungerüstet und plötzlich. Laß uns darin auch einander behilflich sein, daß wir uns bereiten.

 Morgen ist Jubilate. Herr Rektor wird noch einmal predigen, dann geht er auf lange fort (nach Nauheim). Ach, wenn’s noch einmal würde, wenn die frühere Kraft käme mit der Fülle der Erfahrungen, die er selbst machen durfte, und wir, durch all die Zucht bereitet, nun wirklich ein „Werk des Amtes“ würden, einfältig offen für alles, was Gottes Barmherzigkeit uns durch den Dienst des Amtes zuführt: Vor vielen Jahren hatte ich solch eine Sehnsucht, es möchte noch einmal Frühling werden unter uns, – und es ist in gewisser

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/47&oldid=- (Version vom 5.7.2016)