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An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 16. April 1890

 Meine liebe Frieda, es war so schön an der Konfirmation. Der liebe Herr Rektor konnte doch alles zum Ziele führen, und heut hat er das Semester eröffnet. Gestern war mir mein Herz so bewegt: ein Pfarrer von Himmelkron war hier, ein frommer, ernster, sehr gescheiter Mann, wie mir schien. Der bittet um zwei Schwestern zum 1. November. Seine Frau hat bisher eine ganze Industrie in Händen gehabt, hat den Leuten Garn besorgt zu Filetarbeiten und dieselben dann versandt; dadurch ist dem armen Dorf aufgeholfen worden. Jetzt kann sie’s nicht mehr; da soll eine Schwester, eine richtige Industrieschwester hin, die den Armen des Dorfes in dieser Weise dient. Das große Schloß in Himmelkron, sagt der Pfarrer, sollen wir kaufen und eine Zweiganstalt hineinlegen. Das ist nun das sechste Schloß, das wir kaufen sollen. Am gleichen Tag waren die Bruckberger Herren mit einem Berliner Agenten hier. Nun beschäftigt uns auch sehr der Nachfolger des Herrn Diakonus. Morgen schon will sich ein Herr vorstellen, an den man denkt. Viel ist da zu beten, liebe Schwester.

 Grüß alles schön. Und Gott segne Dich tausendmal.

Deine Mutter.


An Schwester Marie Wörrlein.
Neuendettelsau, 28. April 1890

 Meine liebe Schwester, nun ist’s doch viel schneller gegangen mit Deiner guten Mutter, als Du gedacht, und es ist immer ein Schmerz, wie man ihn vorher nicht gekannt hat, wenn das Kindesherz vom Mutterherzen sich für dieses Leben losreißen muß. Aber wie viel Trost hast Du bei Deinem Schmerz! Es ist ein unbeschreibliches Glück, eine fromme Mutter gehabt zu haben. Und zum andern kennst Du den, der sagt: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Und zum dritten bekennst Du mit der Kirche: „Ich glaube eine Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.“ Da kann man schon getrost weiterpilgern Ihm entgegen, der uns droben die Stätte bereitet, und auch denen entgegen, die im Vaterhause auf uns warten. Meine liebe Schwester, laß uns, je mehr nahstehende Seelen wir im Himmel wissen, desto freier werden

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/57&oldid=- (Version vom 8.8.2016)