Seite:Therese Stählin - Auf daß sie alle eins seien.pdf/63

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mutig zu irgend etwas, weder in pastoraler noch in geschäftlicher Beziehung, – siehst Du, das ist eine Heimsuchung, die ernst und schwer ist, und wir müssen recht anhalten im Bitten für den lieben, teuren Kranken und für die Seinen und für uns, daß die von Gott gewollte Frucht dabei ausreife. Dennoch und grad unter diesen Verhältnissen ist große Freude darüber, daß Er gekommen ist und Seine Herrlichkeit offenbar werden wird.

 ...Was meinst Du dazu, liebe Selma, wenn Deine und die Diakonissenhaus-Vorstandschaft sich einigte darüber, daß eine Schwester von denen, die für die Gemeinde bestimmt sind, sich um die Verlorenen insonderheit annähme, also in die Gefängnisse und Krankenhäuser, so oft es nötig ist, ginge, und wenn diese Gemeindeschwester Du wärest?...

Deine Mutter.

 P. S. Diesen Brief schrieb ich, ehe ich von Schwester Karoline Kienlein einen Brief hatte. Sie hat mir nun auf meinen Vorschlag geantwortet und gemeint, daß er undurchführbar sei. – Heute fand ich Herrn Rektor viel frischer als die Tage, das hat mich auch wieder mutiger gemacht.


An die Schwestern der Gemeindestation in Ansbach.
Neuendettelsau, Sonntag nach Weihnachten 1890

 Meine lieben Schwestern, ich danke Euch recht innig für Euer gütiges Geschenk zu meinem Geburtstag. Gott vergelte Euch alle Eure Liebe: wie ernst bei uns die Weihnachtsfeier war, habt Ihr gehört. Ich habe ein großes, tiefes Weh im Herzen, werde aber innerlich so herumgeworfen: wenn’s momentan ein wenig besser geht, regt sich wieder die Hoffnung; aber das Durchschlagende ist doch, daß mich alles wie Abschiedsweh ansieht. Ach, wie wollte ich Ihm danken, wenn Er noch einmal das Leben fristete und noch einmal unsern liebsten Vater in Kraft seines Amtes walten ließe! Wir sind’s freilich nicht wert. Herr Konrektor hat heut in der Predigt unserm Schmerz Worte geliehen; das hat mir sehr wohlgetan... Wir wollen desto fester und treuer jetzt zusammenstehen, da wir so geschlagen sind.

 Herr Konrektor ist sehr treu und steht für alles ein. Er ist ein ehrwürdiger Charakter, ein Vorbild für uns alle im selbstlosen Dienen.

Eure Therese.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/63&oldid=- (Version vom 8.8.2016)