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ich in diesem Jahre recht freundlich gegen ihn werden möge, weil ich ihm ja den Tag zuvor bös gewesen sei. (Es bezog sich das nämlich auf eine von mir vor einer Lehrstunde eingereichte flehentliche Bitte, nicht so hart und streng zu sein. Es bezog sich nämlich die Strenge hauptsächlich auf mich und ich wollte mich ihr ganz gerne unterwerfen, wenn sie nicht so öffentlich ausgeübt würde.) Es ist unser Herr Pfarrer ein gewaltiger Mann. Er kann einen recht hinunter- und hinaufziehen. ...Er tadelt immer an mir, daß ich keinen Dettelsauer Brief schreiben könne, d. h. ganz strikte bei der Sache bleiben, nicht mehr und nicht weniger, als nötig ist, verhandeln. Ich bemühte mich nun es recht zu machen, bekam aber dann die Weisung, das Bemühen gehen zu lassen. Er sei vom singenden Vortrag auch nicht auf diese Weise kuriert worden. ...Denk’ Dir, ich nehme nun Stilstunden mit den Roten, und Herr Pfarrer ist so barmherzig, mir meine Aufsätze zu korrigieren. Da kann man aber lernen! Es ist zu interessant, diese Korrektur! Neulich hat er mir darunter geschrieben: „Es ist eine gewisse Manier im Stile; die wollen wir doch, wenn wir können, fassen und austun.“

 Ich wünsche Euch viel Segen für das Jahr 1860.

Eure dankbare Theresia.


An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, den 20. Februar 1860

 Liebe, gute Schwester, jetzt möchte ich Dir wieder einmal recht viel Eingehendes von uns schreiben, und damit dies geschieht, meinen Brief ein wenig tagebuchartig einrichten. Da mußt Du halt ungleichen Stil, ungleiche Schrift und Tinte entschuldigen.

 Heute (Montag, den 13.) war, wie gewöhnlich, nachmittag von 3–5 Akademie. Das ist’s, was diesen Tag auszeichnet. Es hat nämlich bei uns fast jeder Tag etwas Besonderes. Der Hauptgegenstand der Besprechung war diesmal die Armenpflege. Es existieren in unserer Gemeinschaft jetzt zwei Armenvereine: der eine besteht aus Gliedern, die im Dorfe leben, also Bauern, sodann Frau Direktor Alt, Fräulein Förderreuther etc., der 2. aus Bewohnerinnen des Diakonissenhauses. Um Kollisionen zu vermeiden, schied man die Territorien.

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/104&oldid=- (Version vom 10.11.2016)