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Ins Schulhaus – Verblüffung über den unerwarteten Besuch, dann Freude. In der Schulstube sieht’s aus wie ehedem; mein Platz. Ich kenne fast niemand, man kennt mich auch nicht recht. So geht’s zum Kirchhof. Die Gräber sind zu meiner Freude schön gerichtet, blühende Blumen und sich rankender Efeu. Zuletzt in die Kirche, die schöne, altertümliche. Ich hab jetzt erst manches recht angeschaut. – Wieder nach Illenschwang. Denk Dir recht viel dazu: Dich hätt ich bei mir haben mögen. Am andern Tag allein zum Kreuz. Ein hohes Akazienbäumchen bezeichnet den Ort kenntlicher als sonst. Es war ein schöner Weg hin und her. O unser Ludwig! Wer von uns zweien wird ihn zuerst sehen dürfen? Am dritten Tag allein nach Dinkelsbühl. Herr und Frau Dekan sehr liebenswürdig. – Auf dem Heimweg geh ich ein Stück mit einem alten, hinkenden Weib. Ich red mit ihr, erfahre Armut, schenk ihr was, da fängt sie laut an, dreimal nacheinander das Vaterunser zu beten. Sie war aber nicht römisch. – In Veitsweiler sind, so höre ich, fromme Pfarrleute, aber sonst viel Tod in dieser Gegend. „Du wollest treue Arbeiter in deine Ernte senden.“

 Du brauchst von mir keinen Rat. Es ist alles gesagt, wenn ich Dir zurufe: Halt Dich fest, recht fest an Deinen Heiland. Nimms recht genau mit der Sünde, aber jammere und klage nicht immer über Dein Sündenelend, sondern senk Dich alle Tage tiefer in Seine heiligen fünf Wunden. –

 Jetzt wollen wir wieder was anfangen, damit wir doch nie ruhen in guten Werken: wir wollen ein Rettungshaus gründen. Dazu betteln wir halt wieder Geld, wir sind ein Comitee von fünf Gliedern. Heut ist große Konferenz. Eine Rede über die „Rosenmonate“ hält Herr Pfarrer. Wir dürfen zuhören...

Deine getreue Theresia.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 30. Juli 1860

 Liebste, teuerste Mutter, wir sind gegenwärtig Schafe ohne Hirten, da unser Hirte suspendiert ist, weil er einen Menschen, den er nach Gottes Wort unmöglich kirchlich einsegnen kann,

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/113&oldid=- (Version vom 10.11.2016)