Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/146

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
An die Mutter.
Neuendettelsau, den 14. Dezember 1864

 Meine liebste Mutter, ...wir sind, wenigstens soweit die Weihnachtsfreude sonst psychisch zu ergreifen pflegt, heuer gelähmt. Es kommt bei uns Schlag auf Schlag. Manche Dinge kann man nicht so gut schriftlich mitteilen. Zu allem bekamen wir vor etlichen Tagen die Nachricht, daß unsere liebste Schwester Elisabeth Steinlein in Fürth am Typhus krank liegt. Heut kam wieder ein Brief. Sie ist recht schwach. Ihre Phantasien sind ganz friedlich. Sie ist da immer im Himmel. Wir denken fast mit Gewißheit, daß sie stirbt. Das wäre für unsere Sache ein bittrer Verlust. Vielleicht fahren morgen etliche von uns nach Fürth, um sie zu sehen. Ihre Mutter ist bei ihr gewesen und nach einer Viertelstunde gefaßt und ruhig abgereist.

 Behüt Dich Gott, meine teuerste, geliebte Mutter. Prinzessin Elise schrieb mir neulich, ob ich mich nicht auf einen oder zwei Tage losmachen könne, sie zu besuchen. Sie ist gegenwärtig sehr einsam. Aber das konnte ich doch nicht, obwohl Herr Pfarrer gleich bereit war, mir die Erlaubnis zu geben.

Deine dankbare Tochter Theresia.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 20. Dezember 1864

 Meine liebste Mutter, ...von Elise Steinlein haben wir erfreuliche Nachrichten. Vielleicht erhält sie uns Gott doch. Ich war mit Frau Oberin, Doris und Amalie in Fürth. Wir durften aber nicht zu ihr. Da haben wir durch eine Vorhangspalte geschaut und sie wenigstens gesehen. Es wallte mir ganz eigentümlich das Herz, so nahe bei ihr zu sein, ohne daß sie was ahnte. Es ist was Wunderbares um dies Zusammenwachsen im Diakonissenleben. Elise ist aber auch der allgemeine Liebling.

 So sehr freue ich mich nicht auf Weihnachten wie sonst. Du weißt nicht, liebste Mutter, was mir das ist, alle Sonntage im Betsaal sitzen zu müssen und Herrn Konrektors Predigt anzuhören, während drin im Dorf Herr Pfarrer predigt. Zuweilen ringe ich nach Ergebung in dies Schwerste, was mir je begegnet ist, und dann wehre ich mich wieder aus meiner ganzen Seele. Wir sind eine Anstaltsgemeinde und haben mit

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/146&oldid=- (Version vom 10.11.2016)