Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/155

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
An die Mutter.
Neuendettelsau, den 12. November 1865

 Meine liebe, teure Mutter, ...ich habe mir in der letzten Zeit öfters gedacht, daß es schon deshalb der Mühe wert sei länger zu leben, weil man da Gottes barmherzige Durchhilfe so oft erfahren kann. Gäb’s nicht so viele Nöte, so gäb’s auch nicht so viele Hilfen und damit nicht so viele Stärkung des Glaubens. Wie mag Dir, meine liebste Mutter, diese Wahrheit noch so ganz anders in die Seele leuchten als mir bei meinem kurzen, kleinen Leben. Alle Not Dir aus Deinem Leben wegwünschen, das darf ich ja nicht. Das kommt ja erst in jener Welt. Aber das darf ich Dir wünschen und erbitten, daß Du immerzu Gottes gnädige Durchhilfe sehen und spüren mögest, wenn sich eine Not Dir genaht hat.

 Sorge Dich ja nicht wegen Kälte oder so etwas. Ich bin so gesund, in diesem Semester ganz besonders, und die gute Adelheid[1] ist meine Gehilfin und teilt meine mütterlichen Sorgen für 30 Töchter, die ich herzlich liebe und die mir zuweilen ihre Anhänglichkeit auf eine rührende Weise bezeugen. Meine Reisebeschreibung, das heißt, das Ende derselben, muß ich immer noch schuldig bleiben. Frau Doktor Riedel ist seit Mittwoch hier. Ich bin ihr von Herzen gut, auch wenn sie nicht mehr Diakonissin ist. Amalie wird auch demnächst heiraten.

Deine dankbare Tochter Theresia.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 1. Januar 1866

 Meine liebste Mutter, ...ich wünsche Dir ein Jahr des Heils und der Gnade aus der guten Hand des Herrn. Habe Dank für alle Deine Mutterliebe und Muttertreue, die Du mir nun sechsundzwanzig Jahre lang erzeigt hast und die ich in den verflossenen Tagen wieder so recht erfahren habe. Dein lieber Brief zu meinem Geburtstag war mir eine besondere Freude. Und nun Deine zarte Liebe, die ich aus der Stürzenbaum’schen Apfeltorte herausmerkte, und das reizende Portemonnaie, von dem die Schwestern sagten, daß es einen sonderlich guten Geschmack der Frau Pfarrer Stählin verrate. Die schöne Schürze bekam ich auch schon zum Geburtstag, da es


  1. Schwester Adelheid Liesching, siehe Korr.-Bl. 1906, Nr. 11/12.
Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/155&oldid=- (Version vom 10.11.2016)