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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 27. Dezember 1866

 Meine liebste Mutter, du hast mich so reichlich beschenkt, daß ich wirklich sehr überrascht war. Es ist fast zu reich gewesen. Die Jacke brachte mir Sara am Morgen meines Geburtstages mit einem Knittelvers, den sie mit großer Grazie deklamierte:

Die Mutter läßt Dich grüßen
Und läßt Dich durch mich wissen,
Daß sie Dir diese Jacke schenkt
Und Dein dabei in Lieb gedenkt.

 Den herrlichen Kuchen, den Du in Deiner großen Güte bei Stürzenbaum bestellt, brachte mir der Kleine.

 Wir haben herrliche Feststage gehabt. O unser Betsaal war so schön: Ich beschreib Dir schon noch alles. Wär nur das Wetter nicht so schlecht, ich könnte schon eine kleine Fußtour nach Ansbach machen, solange Du dort bist. Aber nein, es geht doch nicht.

 Schick mir durch den Knecht irgend einen Zettel, auf dem ein Gruß von Dir steht! Also mein eigentlicher Brief kommt erst. Ich hatte viel Arbeit in diesen Tagen. Und heute abend habe ich mit meinen Kindern, weil es dritter Feiertag ist, statt gelernt – gespielt:

Deine dankbare Tochter Theresia.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 2. Februar 1867

 Meine liebe Mutter, ...gelt, ich schrieb Dir’s schon, daß ich ein kleines Stüblein bewohne; Herr Pfarrer sagte, als ich verneinte, es sei nicht nötig, er müsse daran denken, was meine Mutter sagen würde, wenn sie hörte, daß ich den ganzen Winter über auf dem Dachboden schliefe. – Er ist immer so väterlich. Liebste Mutter, wenn Du für mich betest, dann bitte doch um Treue, daß ich nichts versäume in alle dem, was mir übertragen ist. Und bitte auch, daß meine Seele durch alle die Gefahren hindurchgerettet werde. Es ist doch der Diakonissenweg nicht so leicht, als ich mir dachte. Eine gewisse Selbständigkeit, an die wir bei allem Gehorsam gewiesen sind, und eine gewisse Isoliertheit des Weges trotz aller Gemeinschaft bringt viel Gefahr: Herrschsucht und

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/162&oldid=- (Version vom 10.11.2016)