Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/175

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

 ...Ich bin schon wieder auf einer Hochzeit gewesen – bei Prinzessin Elise Salm. Schwester Marie Regine sagt: „Sie bereist jetzt alle Hochzeiten.“ Ich hab mir gedacht, die Hochzeiten bei uns Bürgerlichen sind schöner als die vornehmen. Da ist nichts von Gemütlichkeit, sondern alles wird mit einem steifen Zeremoniell ziemlich kurz abgemacht. Die Braut sah sehr schön aus im weißen Atlaskleid mit langem Schleier, der mit goldenen Nadeln zierlich geheftet war. Ich war aber froh, als ich wieder glücklich daheim war. Nur Herrn Pfarrers Kommando hat mich gezwungen hinzugehen. Er wollte nicht, daß gar niemand von Dettelsau da wäre; er selbst wollte nicht, auch Frau Oberin nicht. So schickte man mich mit einer Schwester, obwohl ich Prinzessin bereits für ihre Einladung gedankt hatte. Ich bin froh, daß ich nicht vornehm bin.

 Liebste Mutter, bete doch für mich, daß ich ein recht liebevolles Herz bekomme. In der Familie hat man, meine ich, viel weniger Reizung zur Lieblosigkeit und Ungeduld als unter Fremden. Es ärgert mich den Tag über so vieles, und die tägliche, stündliche Selbstverleugnung wird oft so schwer. Gott erbarme sich mein und unser aller, daß doch unser Leben je länger je mehr zu Seines Namens Ehre diene. – Am Dienstag ist bei uns Festtag, diesmal am 11. statt am 10. Nun sind es vierzehn Jahre, seit unser Haus steht, und dreizehn sind’s bald, daß ich hier bin. Eine lange Zeit der Gnaden, wie sie nicht vielen Menschen so ununterbrochen zu teil wird.

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 19. Oktober 1868

 Meine liebe Mutter, nun habe ich Dir schon sehr lange nicht mehr geschrieben, aber Du weißt ja, daß es mir gut geht. Gott sei Dank. Mit meinem Plan muß ich es vorderhand gehen lassen. Ich habe niemand, der meine Stelle inzwischen vertritt. Ich lerne nun eben hier, so viel ich kann. Ich habe auch neuerdings zu meiner großen Freude entdeckt, daß ich leibliche Kraft genug zur Krankenpflege habe. Nur Nachtwachen könnte ich, glaube ich, nie viel aushalten...

 In dankbarer Liebe

Deine Theresia.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/175&oldid=- (Version vom 20.11.2016)