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 ...Ich bin also wieder an der Schule, liebe Mutter, und so ungern ich das sage, so ist es am Ende doch wahr: es ist, wie wenn man den Fisch wieder ins Wasser geworfen hätte. Das Lehren ist eben doch meine Gabe, vielleicht meine einzige. Ich weiß es nicht. Es mußte sich alles so merkwürdig fügen, daß in einer einzigen Stunde, vor deren Beginn niemand die große Änderung ahnte, mein Schicksal entschieden wurde. Ich möchte, daß mir mein Tun nicht mehr so wichtig vorkäme. Es ist ja doch alles einerlei, was wir in dieser Wartezeit auf die ewige Heimat zu tun haben, wenn wir nur treu sind. Ich habe eines auch gelernt in diesem Jahre, daß ich mich aus keinem Beruf heraus- und in keinen andern mehr hineinsehne. Nur an Einem Dienst hänge ich mit einer gewissen Leidenschaft: das sind die süßen, heiligen Mesnergeschäfte. Daß ich die Altäre bereiten darf zur höchsten Feier auf Erden, die Brote und den Wein besorgen zu Seinem Sakrament, das ist mir unaussprechlich süß, und das ginge mir tief ins Herz, wenn ichs hergeben müßte. Aber das andere alles soll mich nicht mehr tief berühren.

 Dieser Tage kam in einer Zeitschrift eine Schilderung von Herrn Pfarrer Löhe, die großes Wohlgefallen erregte. Ich konnte des Blattes noch nicht habhaft werden, hörte aber heute mit freudigem Staunen, daß Adolf der Verfasser sei. Ach ja, man wird Herrn Pfarrer erst noch recht begreifen, wenn dies reiche, große Leben abgeschlossen ist. Jetzt meldet sich das Alter in sehr merklicher Weise. Zwar wenn er im Amte ist, erscheint er oft frisch und kräftig, aber wenn ich ihn in seinem Hause sehe, etwa am Abend eines mühevollen Tages, dann macht er mir so den Eindruck eines Greises, daß es einem ganz wehmütig werden könnte. Wie wohl wird ihm einmal die Ruhe tun, die Ruhe, die „noch vorhanden ist dem Volke Gottes“! Wie wohl wird sie auch Herrn Kirchenrat Bomhard tun, wenn das letzte Schwere vollends überwunden ist! Ich freu mich, wenn ich einmal diese zwei Lehrer „leuchten sehe in des Himmels Glanz und wie die Sterne glänzen immer und ewiglich“, weil sie viele zur Gerechtigkeit gewiesen haben.

 Bei unserer Matutin spielt Gertrud Hahn jetzt manchmal die Harfe. Das klingt so schön zu den Psalmen.

Deine dankbare Therese.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/180&oldid=- (Version vom 20.11.2016)