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Dienstag kam ein Telegramm vom Grafen Castell, er bäte um sechs Schwestern. Es waren nur fünf aufzutreiben. Am Mittwoch früh ging’s fort. Ich kam durch Ansbach, wie Du weißt; ich hoffte Dich noch zu sehen; aber ich durfte es nicht mehr wagen, da wir ein wenig später von Dettelsau weggefahren waren. Ich freute mich, wenigstens Adolf noch zu sehen. – In Treuchtlingen rief mich ein bayerischer Artillerist an. Er war mein Pflegling beim ersten Spitalzug gewesen und kehrte jetzt vom Erlanger Lazarett in seine Heimat zurück. In München übernachteten wir im schönen Diakonissenhaus. Gleich nach unserer Ankunft war Bibelstunde von Herrn Burger. Das war wunderschön in dem lieblichen Betsaal. Herr Oberkonsistorialrat fragt die Schwestern und das übrige Personal und sondiert die biblischen Geschichtskenntnisse, daß mir das Herz lachte. Ich war so vergnügt über diesen Anfang und so dankbar gegen Gott, daß Er so gar gut gegen uns ist. Mit dem Sakrament sind wir in Dettelsau entlassen worden und mit Gottes Wort in München empfangen. Verzeih, daß ich Dir mit Bleistift schreibe, ich war eben so klug und nahm ein Tintenzeug mit, aber nur zwei Tropfen Tinte drin. Das klingt fast wie: „Sie nahmen die Lampen, aber kein Öl mit sich“, und doch gemahnt uns unsere Fünfzahl so ernstlich an die klugen Jungfrauen. Gestern brachten uns Fräulein von Roth und Herr von Tucher noch Geld, daß wir uns noch warme Sachen kauften. Wenn ich alles anhabe, kann ich auch beinah nicht schnaufen.

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 Ich war so kühn und ging zu Burgers, denn Herr Oberkonsistorialrat hatte mich nach der Bibelstunde dazu aufgefordert. Er war so gütig und freundlich und sagte mir so viel von der heiligen Geschichte, daß ich wenigstens mit drei Ohren horchte. Bei der lieben Tante war ich natürlich auch und trank Tee und aß Wurst. In der schönen schneehellen Nacht früh 2 Uhr fuhren wir ab. Wir waren heut um 10 Uhr in Ulm. Ich fragte nach dem Dorfe Reutti: eine Stunde sei’s hin und wir blieben bis 1/21 Uhr, hieß es. Wie zog’s mich, Wilhelm eine Depesche zu schicken, aber es war doch nicht gut ausführbar. Unser Zug ist vortrefflich eingerichtet, weit besser als der vorige. In unsern Wagen sind kleine Öfen, ein Soldat brachte schon in aller Frühe einen Korb voll Torf.

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/196&oldid=- (Version vom 20.11.2016)