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Zur Einführung


Aus persönlichen Berichten
von Frau Oberin Therese Stählin


 „Ich war drei Jahre in Augsburg gewesen. Im Herbst 1855 war meine Zeit im Stetten’schen Institut zu Ende. Man wußte nun nicht, was man mit mir anfangen sollte. Einige schlugen vor, ich solle Nähen lernen. Das Vaterhaus hatte sich für uns mit dem Tode des Vaters – am 24. Februar 1855 – geschlossen. Da hatte Gott für das heimatlose Kind eine Heimat ausersehen, die für dasselbe Lebensglück und Himmelsfrieden in sich barg. Ich wurde nach Neuendettelsau geführt. Ein Fräulein Grabenberg, das durch freundschaftliche Beziehungen zu meiner Schwester Gürsching auch für mich Interesse hatte, war im Jahre 1855 in Neuendettelsau. Sie kam, erfüllt von den dort empfangenen Eindrücken, zu meiner Schwester und sagte mit Bestimmtheit: „Dorthin muß die Therese kommen.“ Meine Brüder erfaßten den Gedanken, und mein lieber Bruder Otto schrieb an Herrn Pfarrer Löhe. Dieser gewährte meine Aufnahme, obwohl damals wegen großen Zudrangs und Mangel an Platz eine Anzahl Anmeldungen abgewiesen werden mußte. So wurde das fünfzehnjährige Mädele ins Mutterhaus gesteckt.

 Im Mutterhaus war damals alles sehr begeistert, aber die Verhältnisse waren doch viel weniger geordnet, die Arbeit weniger abgegrenzt als jetzt. Nach dem Tod von Fräulein Rheineck, im August 1855, wurde Fräulein Amalie Rehm erste Vorsteherin. Man nannte sie Fräulein, auch als sie die Tracht trug, bis schließlich Herr Pfarrer sie feierlich „würdige Frau Oberin und Vorsteherin des Vereins für weibliche Diakonie im Königreich Bayern“ nannte. Fräulein Helene von Meyer war zweite Vorsteherin, Fräulein Marie von Meyer hatte das Krankenwesen unter sich.

 Ich litt anfangs an schmerzlichem Heimweh. Aber als ich an Herrn Pfarrer Löhes Unterrichtsstunden teilnehmen durfte, ging mir eine neue Welt auf. Ich war sehr glücklich und hegte nur den herzlichen Wunsch, daß auch meine Schwester Marie das gleiche Glück wie ich haben möchte.“


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/20&oldid=- (Version vom 17.10.2016)