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willst!“ Und Gott hat die Gefahr in Gnaden wieder schnell gewendet...

 Gott behüte Dich, meine liebe, liebe Mutter! In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 2. Advent 1875

 Meine liebste Mutter, draußen ist tiefer Schnee. Dennoch will ich’s versuchen, ob man nach Haag gehen kann. –

 Da bin ich wieder umgekehrt, es war keine Möglichkeit durchzukommen. Man sank so tief hinunter, und im Heimweg hätten wir uns vielleicht gar verirrt. Ich kann mir kaum solch hohen Schnee erinnern. Oft fällt mir beim Schnee eine Szene aus dem Weiltinger Hof ein. Die älteren Geschwister hatten einen Tisch und Sofa in den Schnee gebaut und Grüblein in den Tisch gemacht und das beliebte Malz hineingetan. Ludwig und ich wurden dann geholt und durften im Schneesofa Platz nehmen und das Malz herausessen. Das ist lange her! Ich hätte freilich mit den Haagern gerne heute das ernste Evangelium gelesen. Wir durften eine ernste, tief ins Herz dringende Predigt darüber hören. Herr Rektor will in diesem Jahr an der Handleitung der Evangelien über die Geschichte des menschlichen Herzens predigen. Ach, liebe Mutter, ich meine oft, es ginge mir jetzt erst, nachdem doch Gottes guter Geist so lange Jahre an mir gearbeitet, ein wenig Licht auf über die Tiefe meines Verderbens und was es heißt, sich bei seinem Sündenjammer ans Kreuz allein klammern. Ich weiß aber, daß es noch viel mehr in die Tiefe muß. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem gelernten und dem erfahrungsmäßigen Glauben. ...Die heilge Adventszeit ist immer besonders schön. Im Abendgottesdienst am Sonntag singt einem der Schwesternchor immer so was Schönes in die Seele hinein, und wir Blauen und Grünen sitzen nach dem Essen und repetieren die Predigt und arbeiten dabei für unsere Armenbescherung. Heute gab mir Adelheid 15 M dazu, die die Mutter einer Grünen geschickt... Das sind immer Freuden.

 In herzlicher Liebe

Deine Therese.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/228&oldid=- (Version vom 20.11.2016)