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Die hat er nun bekommen in Erbendorf in der Oberpfalz. Es haben sich schon viele Ärzte um die hiesige Stelle gemeldet.

 Bald sind unsere Prüfungen, dann kommt, so Gott will, der Schwesterntag und die Einsegnung von vierzehn Schwestern. Später gedenke ich ein wenig nach Polsingen zu gehen. Nicht wahr, es ist ein schönes Stücklein Erde dort? Wie freut es mich, daß Du dort warst! Ich glaube, es ist bei mir auch ein Stück unbewußtes Heimatgefühl, das mir den Ort so lieb macht, weil doch Westheim so nahe ist. Ja, was ist’s um das Heimatgefühl und die Heimat Wunderbares! Noch nie in meinem Leben habe ich so ein starkes Bewußtsein von meiner Heimatlosigkeit gehabt wie in den letzten Tagen. Du mußt mich recht verstehen – ich meine die Heimatlosigkeit in bezug auf diese ganze untere Welt. Heimatlos sind wir ja nicht, aber das Heimweh wird erst gestillt in den ewigen Hütten.

 Weißt Du, daß die alte Tante bei Lichtenbergs auch vor einiger Zeit heimgegangen ist? An diesem Sterbebette konnte man so recht den Eindruck bekommen, „ein Spott aus dem Tod ist worden“. Sie durfte so friedlich und still hinüberschlummern, aber ein Tränenstrom ergoß sich noch über ihr Gesicht, als sie den letzten Seufzer tat.

 Nach dem Schwesterntag wird wohl auch das Feierabendhaus bezogen werden. Das gibt große Veränderungen. Unsere liebe, kranke Schwester Käthe Hommel kommt dann auch hinein. Es kostet ihr einen schweren Kampf, da sie so ein geliebter Mittelpunkt im Mutterhaus ist, aber sie will doch still und gehorsam ihren Weg gehen. Kürzlich hat sie wieder ihren Herzkrampf gehabt. Auch die alte Schwester Karoline[1] kommt hinein, und aus besonderer Rücksicht darf sie ihre Schwester, Fräulein Döderlein, mitnehmen. Am 15. August hat die Schwester Karoline ihren 74. Geburtstag. Da hat ihr Herr Rektor das mitgeteilt, und die beiden alten Weiblein haben sich hoch gefreut.

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.



  1. Schwester Karoline Hoffmann geb. Döderlein, siehe Korr.-Bl. der Diakonissen 1886/4.
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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/238&oldid=- (Version vom 20.11.2016)