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werden für ihn, da ja hier die Privatbeichte eingeführt ist. Mir ist so bange darauf, und doch freue ich mich so sehr.

 ...Ich werde sehr oft mit Briefen beglückt. Ich habe schon zehn erhalten und bin doch noch nicht ganz drei Wochen hier. Für den Nußmärtelpack, das Papier, die Baumwolle, besonders aber für Ihren und Marieles lieben Brief meinen herzlichen, innigen Dank! Es sind dies immer so süße Worte, wenn die Mädchen einem zurufen: „Du sollst zu Fräulein Rehm kommen; sie hat einen Brief, oder sie hat ein Paket für dich.“

 Dienstag, den 20. Heute bin ich um 4 Uhr zum Waschen aufgestanden und fühle mich doch bei weitem nicht so angegriffen wie das letztemal. Ich freue mich über das herrliche Wetter, das dem Trocknen so förderlich ist.

 Ach, liebe Mutter, ich kann Gott gar nicht genug danken, daß er mich in dieses Haus geführt hat, wo der inwendige Mensch so reichliche Nahrung erhält. Freilich finde ich mich in meiner Hoffnung, hier weniger Gelegenheit zum Sündigen zu haben, einigermaßen getäuscht, denn die Sünde, die tief im Herzen wohnt, wird nicht durch eine andere Umgebung ausgerottet. Dennoch verzage ich nicht, sondern danke Gott, der mir Kraft gegeben, schon manches zu überwinden, und der mich gewiß immer mehr stärken wird, die Vorsätze auszuführen, die ich jeden Tag aufs neue fasse.

 Nun wird die Zeit bald herankommen, da Sie Weiltingen verlassen müssen. – Leben Sie wohl, liebste, teuerste Mutter! Gott erhalte Sie uns noch lange, lange und lasse Ihren Aufenthalt in Nördlingen Ihnen recht angenehm sein! Denken Sie meiner im Gebet, besonders nächsten Sonntag. Herzliche Grüße an alle. Ich bin in kindlicher Liebe

Ihre vergnügte Therese.


 Denken Sie nur, letzthin sagte Herr Pfarrer, es steckt ein Stück Phlegma in mir, und bei derselben Gelegenheit sagte er auch, es spräche ein Pfarrer aus mir.

 Herr Pfarrer nennt mich „du“. Es ist doch etwas Gutes, wenn man nicht so sehr groß ist.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/29&oldid=- (Version vom 17.10.2016)