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An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, den 20. Februar 1856

 Liebe, teure Schwester, soeben komme ich von Bechhofen, einem zu Neuendettelsau gehörigen Dörfchen, zurück, wohin ich mit Luise Burkhard von Herrn Pfarrer geschickt wurde, um daselbst eine Industrieschule zu gründen. Du kennst mich zu gut, als daß Du Dir meine Freude hierüber nicht denken könntest. Da die Sache heute erst eingeleitet wurde, gingen wir in mehrere Häuser, um da Kinder zu werben. Soll ich Dir die Stuben beschreiben, in die wir gekommen sind? Nein, Du kannst Dir schon etwas dergleichen vorstellen. Kaum kann man es glauben, daß diese Leute Beichtkinder von Herrn Pfarrer Löhe sind, der Ordnung und Reinlichkeit mit solchem Eifer predigt. ...Nun, eine künftige Diakonissin darf sich durch solche Dinge nicht zurückschrecken lassen, und je größer die Unordnung ist, desto größer die Freude, wenn durch Gottes Gnade ein neues Leben beginnt. – Herr Pfarrer sagte letzthin, daß für seine Gemeinde eine rechte Gnadenzeit gekommen sei.

 Das ist wahr. Alles wird aufgeboten, um geistliches Leben rege zu machen, Sinn und Eifer für höhere Dinge zu erwecken. Alle Dienstage gehen je zwei Diakonissen in die vier eingepfarrten Dörfer zu dem oben erwähnten Zwecke; die Missionszöglinge und Herr Kandidat Lotze gehen Sonntags dorthin, repetieren die Predigt mit den versammelten Leuten, erklären, was ihnen unklar ist etc. Daß dabei die Krankenbesuche nicht vernachlässigt werden, versteht sich von selbst. In Neuendettelsau ist seit voriger Woche eine Kinderschule errichtet worden, an welcher eine noch ganz junge Diakonissin unseres Hauses arbeitet.

 Es wird Dir nicht unangenehm sein, wenn ich Dir einiges über unsere Stunden mitteile. Vor einiger Zeit haben wir einen Unterricht über das Briefschreiben bekommen und dabei ein Diktat erhalten, das Du vielleicht einmal lesen magst. Wir haben, wie Du weißt, alle Tage zwei Stunden von Herrn Pfarrer. Die erste ist immer zur biblischen Geschichte bestimmt, mit der wir bis zum Schluß des Semesters (23. April) fertig werden müssen. In der zweiten Stunde haben wir gegenwärtig Unterricht über Poesie, Versmaß etc., was überaus herrlich ist, oder wir haben Weltgeschichte. Vor vierzehn Tagen

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/39&oldid=- (Version vom 17.10.2016)