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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246

mit jenen beiden vergleichen, und um mir nichts übel zu nehmen, niemals vergessen, daß es nichts als ein Traum ist, in welchem die Imagination immer alle ihre Ufer und Schranken übertritt und gleichsam ihr höchstes Vergnügen darinn setzt, dem gesunden Menschenverstand vor den Kopf zu stoßen, der zum Glücke tüchtige Kopfstöße vertragen kann. Wie es nichts ungewöhnliches ist, daß viele denkende Männer über mancherlei Materien ihre Gedanken dem Publikum mitgetheilt haben, so werde ich es auch in Zukunft nicht unterlassen, über sehr verschiedentliche Gegenstände für Wißbegierige meine Träume niederzuschreiben.

Ich war kaum eingeschlafen, als es mir vorkam, die ganze Welt um mich her habe ein neues Gesicht, die Bäume verzogen ihre Minen, die ernsthaften Berge und Felsen schienen zu lachen, die Ströme flossen mit rauschendem Gelächter ihre Bahn hinunter, die Blumen dehnten sich aus und streckten sich in allen ihren Farben und schienen wie von einem tiefen Schlafe zu erwachen. Es überfiel mich, daß die ganze Welt in allen ihren Theilen sich zu einem frölichen Bewußtseyn entzünde, und daß ein neues Licht die uralten Schläfer anrühre, in alle tief verschloßnen Kammern gehe und sie rufe und

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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246. Frommann, Jena 1800, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tieck_Das_juengste_Gericht_1800.pdf/5&oldid=- (Version vom 22.12.2016)