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Walther Kabel: Tollwutepidemien (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6)

Tollwutepidemien. – Im Frühling des Jahres 1822 trat in dem damals noch dänischen, jetzt zur Provinz Schleswig-Holstein gehörigen Dorfe Jägerup eine solche auf. Der Hund des Schäfers erkrankte zuerst und übertrug die Ansteckung auf die übrigen Dorfhunde, von denen im Laufe von drei Wochen fünfundzwanzig Personen, darunter vierzehn Kinder, ferner die meisten auf der Weide befindlichen Rinder und Schafe gebissen wurden. Zunächst schenkte man der Sache jedoch wenig Beachtung. Die tollen Hunde tötete man, wo man ihrer habhaft wurde, und die Bißwunden der Menschen und des Viehs wurden gleichmäßig durch Essigwaschungen behandelt. Erst als die Tollwut bei den Schafen und kurz darauf bei den Rindern zum Ausbruch kam und die Tiere eine nie gekannte Bösartigkeit zeigten, berichtete der Dorfälteste darüber an das zuständige Amt nach Hadersleben. Zwei weitere Wochen vergingen, bevor bei der damaligen langsamen Geschäftsführung in Jägerup ein Regierungskommissar eintraf.

Inzwischen waren bereits acht Personen unter furchtbaren Qualen gestorben und auch ein Teil des gebissenen Viehs auf ebenso schreckliche Weise eingegangen. Niemand von den Dorfbewohnern wagte sich mehr unbewaffnet auf die Felder. Überall trieben sich dumpfbrüllende Rinder und widerwärtig blökende Schafe umher, die jeden Menschen, der ihnen in den Weg kam, beißwütig anfielen. Auch auf die benachbarten Güter, besonders auf die große Besitzung des Barons v. Benson hatte die Epidemie übergegriffen.

Nachdem von dem Regierungskommissar der schreckenerregende Umfang, den die Seuche in so kurzer Zeit angenommen hatte, und damit die Größe der Gefahr für die ganze Gegend erkannt worden war, traf man sofort energische Gegenmaßregeln. In Jägerup mußten sämtliche Tiere, ob sie gebissen waren oder nicht, getötet werden. Bei den Menschen kam leider jede Hilfe zu spät. Von den Gebissenen, deren Zahl mittlerweile auf zweiunddreißig gestiegen war, genasen nur zwei. Auch der Baron v. Benson, zwei seiner Söhne und drei Knechte, die von tollen Hunden auf dem Hofe des Gutes verletzt worden waren, starben.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Tollwutepidemien (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tollwutepidemien.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)