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     Die Vöglein werden still und stumm,

1655
     Sie woll’n zu Bette gehn.

     Schlafe mein Rehlein auch du!

Mein Rehlein schläft, recht hübsch; doch gar zu lang.
Die schmachtend süßen, liebeklaren Aeuglein
Sind zugeschlossen jetzt, fest zugeschlossen, –

1660
Und bleiben zu? Ist denn mein Rehlein todt?

     (In Thränen ausbrechend.)
Todt! todt! mein weiches, weißes Rehlein todt!
Die süßen Sternlein ausgelöscht und todt!
Mein todtes Rehlein! sanft will ich dich betten
Auf Rosen, Lilien, Veilchen, Hyazinthen.

1665
Aus goldnem Mondschein web’ ich eine Decke,

Und deck’ dich zu. Ein Trauerlied soll dir
Rothkehlchen singen, und es sollen zwölf
Goldkäfer ernsthaft Schildwacht stehn des Tags,
An deinem kleinen Blumenbettchen, zwölf

1670
Glühwürmchen sollen flimmernd dort des Nachts,

Wie stille Todtenkerzen, leuchten; aber
Ich selber will dort weinen Tag und Nacht.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_240.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)