Seite:Trauerrede Lietzmann 5.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Aber in diesem durch solche Erziehung unerbittlich gesteckten Grenzen hat er seine Wirksamkeit weithin ausgedehnt auf eine Fülle von Gebieten. Er hat seine Forschungen aus den gebahnten Wegen tapfer hinausgetrieben und neue Länder erobert.

     Schon zu Anfang seiner Tätigkeit hat die Spätantike sein Herz gewonnen: Davon zeugt seine Sammlung der chaldäischen Orakel, seltsamer Zeugnisse religiösen Ringens in einer Zeit der Krisis, vor allem aber die in Gemeinschaft mit anderen Forscher unternommene Katalogisierung astrologischer Handschriften, die zum ersten mal den Weg freilegte in ein Gebiet menschlicher Sehnsüchte, die unaustilgbar sind. Diese Arbeiten haben ihn zusammengeführt mit einer Reihe von Gelehrten, unter denen der belgische Religionshistoriker Franz Cumont ihm in besonderer Weise freundschaftlich nahetrat. Der Beschäftigung mit antiker Astrologie entsprangen seine Ausgaben des Dialogus des Hermippos, des Vettius Valens und des Firmicus Maternus. In die Problematik spätantiker Religionsgeschichte weist uns seine Behandlung des Hermes Trismegistos, und im Republikkommentar des letzten neuplatonischen Klassikers Proklus erschließt sich die höchste Geistigkeit einer todgeweihten Welt.

     Manch ehrfurchtgebietende, aber auch auch manch wunderliche Gestalt hat seine Hand beschworen, und wir begreifen es gut, daß er dem, was diesen Männern zutiefst am Herzen lag, seine Aufmerksamkeit zuwandte: der antiken Kultur und vor allem ihrer Religion. So schrieb er auch über den antiken Aberglauben, schilderte die Religiosität in der Zeit des Cicero, und daraus erwuchs sein zweibändiges Werk über „Die Kultur der Ciceronischen Zeit“. Als Deuter antiker Klassiker lernen wir ihn kennen, wenn er Ciceronische Schriften auslegt oder den größten Lyriker Roms, Catull, dem Verständnis näherbringt.

     Wo er seine Hand anlegte, wuchsen reiche Früchte an den Bäumen, die er pflanzte. Und so wurde er gern zu Hilfe gerufen, wenn es galt, fremde Arbeiten aus älterer Zeit zu neuem Leben zu erwecken. Wir Alten wissen es besser vielleicht als mancher der jungen Generation, was seine Neubearbeitung von Teuffels Geschichte der römischen Literatur für die täglichen Bedürfnisse des Philologen bedeutet.

     Aber Kroll war auch gewillt, schwerste Lasten auf sich zu nehmen, wenn es galt, der Wissenschaft Dienste zu leisten, die andere nicht auf sich nehmen mochten oder konnten. 15 Jahre lang gab er die Jahresberichte über die Fortschritte

Empfohlene Zitierweise:
Hans Lietzmann: Wilhelm Kroll (Trauerrede). Privatdruck, Berlin 1939, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Trauerrede_Lietzmann_5.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)