Seite:Tucholsky Mit 5 PS 065.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Breslau

Der richtige Berliner stammt entweder aus Posen oder aus Breslau. Man muß also wohl unterscheiden zwischen dem breslauer Breslauer und dem berliner Breslauer. Der breslauer Breslauer ist ein ganz eignes Lebewesen. Wenn man so harmlos die Schweidnitzer Straße in Breslau herauf- und heruntergeht, merkt man erst gar nicht, daß man unter einem sonderbaren Volksstamm weilt. Roda Roda hat einmal gesagt, er habe in seinem sündevollen Leben nur einen Wunsch: er möchte noch einmal in Breslau als Dichter anerkannt werden. Das ist in der Tat noch keinem beschieden gewesen. Der breslauer Breslauer ist von seiner eignen Liliputanerhaftigkeit viel zu überzeugt, als daß er seinesgleichen anerkennt. „Wie kann der Kerl ein Dichter sein, wenn er noch gestern neben mir über den Tauentzien-Platz gelaufen ist –!“ Der Breslauer weiß alles besser und kann es auch schöner. Die Eigenliebe der Bewohner dieser Stadt steht im graden Verhältnis zur Schwingenweite des Nebbichvogels, der über ihr rauscht. Das hat mir ein berliner Breslauer selbst gesagt, und der muß es doch wissen.

Der breslauer Breslauer hat einen durch Frechheit gemilderten Respekt vor den Berlinern, schimpft auf sie und bewundert sie maßlos. Das hindert ihn aber nicht, ein stolzes Selbstbewußtsein zur Schau zu tragen – nie habe ich eine solche Ansammlung von Fürstensöhnen und spanischen Hidalgos in Zivil gesehen wie bei Liebich, Breslaus feinstem Tanzlokal. Da geht es hoch her, man ist ganz unter sich, liebt sich,

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Berlin: Ernst Rowohlt, 1928, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_065.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)