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Europa auf allen Polizeiämtern für Arbeitsstunden verwartet werden, ist gar nicht zu sagen. Der arme Untertan braucht den Staat – oder vielmehr: der Staat braucht ihn zu kindlichem Spiel –, und dafür bekommt er zuvörderst einmal eine Arreststrafe: er sitzt seine Papiere auf den Korridoren ab. Tagtäglich warten in der ganzen zivilisierten Welt Hunderte und Tausende stumpfsinnig, erbittert, gelangweilt, gespannt auf einen Bureaumenschen der Polizei. Es scheint, als ob bei der Neueinrichtung einer Polizeistation alles in Betracht gezogen wird – nur nicht das sie frequentierende Publikum. Wie sich das durch Zimmer, Gänge, Paßstellen, Anmeldebureaus durchwindet, ist seine Sache. Ja, es steckt offenbar ein tiefer erzieherischer Wert hinter dieser Nichtachtung: der Zivilist soll fühlen, daß er eine Laus ist, ein elendes Wesen, ein Nichts. Daß er nicht sofort eingesperrt wird, ist das Beste, was ihm überhaupt passieren kann.

Zwei Arbeitsstunden verwartet – in dieser Spanne Zeit könnte man hundert Zeilen einer Odyssee gedichtet, an der Börse Geld verdient, ein Kind angefertigt haben, aufs Land gefahren sein. Nichts da. Warten. Dann – Herz, klopf schneller! – vor den Gewaltigen.

Der Gewaltige verbreitet eine Atmosphäre von Grobheit und schlechter Körperpflege um sich. Martialischer Trutz und ungewaschene Füße geben dem Mann ein eignes Aroma. Eine halbe, von aufmerksam spähenden Augen sofort aufgefangene Kopfbewegung heißt: „Was wollen Sie –?“ Es wird gesagt. Erstes Polizeigesetz: „Nein.“ Raus. Zweites Polizeigesetz: „Nein. Da müssen Sie erst …“ Raus. Neuer Gang. Neues Warten. Neue Papiere.

Denn ohne Papiere macht der Polizei die ganze Polizei keinen Spaß. Was dieser patriotische Erdteil in den letzten Jahren an Ausweisen, Pässen, Identitätskarten, Anmeldescheinen,

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Berlin: Ernst Rowohlt, 1928, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_129.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)