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Fantasia
„… sattsam bekannte Ignaz Wrobel. Ja, glaubt denn dieser degenerierte Wüstensohn …“
Nationale Zeitungsnotiz

Der Löwe hinter meinem Hause schlug kurz an.

Vom Felsgestein der sieben Lüste, das sich grade an der Wegbiegung erhob, schritt ein Mann, in einen ehemals fast weißen Burnus gehüllt, majestätisch auf mich zu. Es war Reimann-Effendi, der Führer der sächsischen Mohammedaner. „Batschari-Aleikum!“ sagte ich, würdevoll die Hand auf meine orientalische Brust legend. „Wie gähds dr denn?“ sagte der Effendi und holte aus seiner Toga ein Gaffeegännchen, das er schlürfend leerte. „Der Name des Propheten sei gelobt!“ sagte ich. „Nimm Platz und rauche diese Nargileh – wenn du ziehst, kommt Rauch; wenn du bläst, spielt sie: Deutschland, Deutschland über alles!“ Der Effendi setzte sich, zog, blies und schwieg. Die Sonne glühte, um eine Zeile zu füllen.

Der Effendi blinzelte durch die offene Tür meines Harems; leise hörte ich ihn vor sich hinmurmeln: „Eene gleene Digge hädch gern …“, aber schon tauchte der riesige Schatten meines Leibeunuchen Lissauer auf – solange er da war, konnte ich unbesorgt sein: denn was der unter den Händen hatte, das wurde nichts. Um meinen Gast abzulenken, begann ich, höflich mit ihm zu plaudern.

„Habt Ihr schon einmal eine Fantasia gesehn?“ fragte ich ihn. Reimann-Effendi sah mich mit listigen Äuglein an, schwenkte den Kaffee und sprach die Verse:

„Dein dämliches Gefrage ehrt den gemeinen Mann – der Majestät des Todes kann niemand entgehn –
Wenn Sie meinen, daß Fantasia gut ist – mir soll sie nicht zu dick sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_227.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)