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wiedersehen – nur das nicht – in den fremden Augen steht eine unendlich kleine Photographie von mir selbst, in welcher Aufmachung! In welcher Haltung! Ah, nein. Aber es ging schließlich nicht länger.

Nous ne sommes plus que des étrangers –

Aber es ging doch nicht mehr – nicht wahr, es ging doch nicht mehr weiter? Das wußten wir doch beide, nicht wahr? Noch diese Zwietracht eint – letzte Bindung: wir, wir haben uns gezankt – nein, auseinandergelebt.

Poursuis ton chemin –

Wie zwei Bahnlinien, die sich einmal gekreuzt haben, jetzt ist der eine Zug schon längst in Flandern, der andere vor Paris – aber einmal haben sie sich gekreuzt. Übrigens ist das alles ausgesprochen kindisch: in dieser riesigen, rotgoldenen Halle gibt es hundert Unglückliche, zehn Kranke, acht Entlassene, die noch keine neue Stellung haben und die nicht wissen, wie das nächsten Monat werden soll – und seinen kleinen Herzensjammer wird wohl jeder haben. Ach ja – jeder wird ihn haben, soll ihn haben – ich kann doch hier nicht allein sitzen und mich zum Narren machen. Ich bewahre aber gute Haltung, und man sieht mir gar nichts an. Pars –! Natürlich heißt das: Schieb ab.

Und nun muß dieses verfluchte Weib eine Zeile singen, eine einzige –:

Le souvenir est un chemin très long –

Eine weiche Faust schnellt von der Bühne herunter, preßt mich, würgt, mein Speichel trocknet aus, die Augen sind verschleiert … Ich schlucke. Und stehe vorsichtig auf und störe die alte Dame, der fette Mann sieht mir verwundert nach, da gehe ich auf Zehenspitzen hinaus. Sie singt:

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_266.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)