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immer so eine leise kitzelnde Angst vor dem Ende, denn einmal mußte es ja kommen, das Ende – immer konnte es nicht so weitergehen.“

„Nein,“ antwortete er, „immer konnte es natürlich nicht so weitergehen. Kommen Sie übrigens heute nachmittag zum lieben Gott?“ „Wer wird da sein –?“ sagte ich. Er antwortete: „Gandhi, Alfred Polgar, einer von den unbekannten Soldaten und dann irgendein Neuer.“

„Ich mag die Neuen nicht“, sagte ich. „Sie kommen sich so feierlich vor. Wie finden Sie übrigens den lieben Gott?“

„Sehr sympathisch“, sagte er. „Er erinnert ein wenig an das, wovon Sie eben sprachen.“ „Ja“, sagte ich.

Dann ließen wir wieder die Beine baumeln.


„Haben Sie schwimmen gelernt, damals, als Sie lebten?“ fragte ich ihn. Wir ruderten durch den endlosen Raum, in farblosem Licht, es hatte eigentlich keinen Sinn, sich zu bewegen, weil jeder Maßstab fehlte, wohin die Fahrt ging. Planeten waren nicht zu sehen – sie rollten fern dahin.

„Nein“, sagte er. „Ich kann nicht schwimmen. Ich hatte einen Bruch. Mein Leib hatte einen Bruch.“

„Ich habe es auch nicht gelernt“, sagte ich. „Ich wollte es immer lernen – ich habe drei-, viermal angefangen –; aber dann ist es immer nichts geworden. Nein, schwimmen nicht. Englisch auch nicht – damit war es ganz dasselbe. Haben Sie alles erreicht, was Sie sich einmal vorgenommen hatten? Ich auch nicht. Und dann, an stillen Abenden, wenn man einmal aufatmen konnte und das ganze Brimborium des täglichen Klapperwerks verrauscht war, dann kamen die nachdenklichen Stunden und die guten Vorsätze. Kannten Sie das –?“

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_289.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)